Starke Frauen
zu verlieren. 1883 kommt ihr Sohn Maxim auf die Welt, zwei Jahre später Kostja: »Ich bin Hofschneider, -koch, Wäscherin etc., kurz ›Mädchen für alles‹. Dazu kommen die beiden Pipischlinge, die mir keine ruhige Minute lassen.«
Als Ossip an Rückenmarkschwindsucht erkrankt und Clara nicht nur ihre Kinder versorgen, sondern auch den Gelähmten pflegen muss, erfährt sie Solidarität. Aber nicht von ihren Genossen, sondern von russischen Emigranten: »Unter den Russen habe ich jung meine Heimat gefunden.« 1889 stirbt Ossip. Im gleichen Jahr beginnt Claras politische Karriere.
Paris, 19. Juli 1889, Claras erste große Rede. Sie spricht auf dem Pariser Gründungskongress der Zweiten Internationalen (dem weltweiten Zusammenschluss der Sozialdemokraten). Fordert »ökonomische Unabhängigkeit vom Manne, die der politischen und gesellschaftlichen Vormundschaft über das Weib den Todesstoß versetzt«. Sie hat das Thema ihres Lebens gefunden, wird zur Programmpolitikerin der sozialistischen Frauenemanzipation.
Claras Standpunkt: Die »Frauenfrage« ist vor allem eine ökonomische. Die Voraussetzung für Gleichberechtigung ist die Erwerbstätigkeit, die finanzielle Unabhängigkeit garantiert: »Wie der Arbeiter vom Kapitalisten unterjocht wird, so die Frau vom Manne.«
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»Arbeiter müssen aufhören, in der Arbeiterin eine Frau zu sehen«
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Sie fordert: rechtliche Gleichstellung, gleiche Bildungschancen, Recht auf gleichen Lohn bei gleicher Arbeit. Wahlrecht, staatliche Kinderbetreuung, Teilung der Hausarbeit und Kindererziehung und die Abschaffung des § 218 (der seit 1871 den Schwangerschaftsabbruch verbietet).
Das Ziel: Die Frau soll ein selbstbestimmter »weiblicher Vollmensch« sein. Clara appelliert an die Frauen, sich selbst zu befreien. Es ist zu schaffen, aber nur wenn man sich»die Zeit einteilt, vertrödele sie nicht beim öden Klatsch oder seichter Unterhaltungslektüre!«.
1890, nach dem Fall des Sozialistengesetzes, kehrt Clara zurück nach Deutschland, wird in Stuttgart Chefredakteurin des Parteiblattes für Frauen Die Gleichheit und predigt: »Nur mit der proletarischen Frau wird der Sozialismus siegen!« Das Blatt hat 1892 2000 Leserinnen. 1914 gibt es 250 000 Abonnentinnen. Und mit der Auflage steigt auch Claras Macht, sie kritisiert die Frauenfeindlichkeit der Sozialdemokraten: »Die Arbeiter müssen aufhören, in der Arbeiterin in erster Linie eine Frau zu sehen, der man, je nachdem sie jung, hübsch, sympathisch, heiter oder es nicht ist, den Hof macht und der gegenüber man sich Rohheiten und Zudringlichkeiten erlaubt.«
Das nervt die Herren im Parteivorstand zunehmend. Was sie aber auch nicht abkönnen, ist Claras »unordentliches Verhältnis«: Clara (sie spendet regelmäßig für die Armenkasse, liebt kalte Duschen, frische Luft und fordert voreheliche sexuelle Enthaltsamkeit beider Geschlechter) lebt seit 1896 mit dem Maler Friedrich Zundel zusammen, zunächst in »wilder Ehe«.
Aber nicht einmal ihre Hochzeit ändert die Tatsache, dass er 18 Jahre jünger ist, was nicht nur den bürgerlichen Moralvorstellungen widerspricht. Sogar ihr Förderer, der Vorsitzende August Bebel, schreibt der Zetkin, sie müsste die abträgliche Wirkung nach außen bedenken. Das Paar (und Claras Söhne) bezieht 1904 sein neues Landhaus in Sillenbuch, das bald zum Treffpunkt der roten Prominenz wird. Bebel, Liebknecht, Lenin genießen den luxuriösen Lebensstil: riesiger Park, Personal, wunderbare Küche. Zundel schafft sich 1907 das erste Auto im Ort an, mit Chauffeur.
Zur allgemeinen Verwunderung geht die Ehe gut. Erst als sich Zundel 1914, obwohl Pazifist, als Freiwilliger zum Kriegsdienst meldet, deuten sich Differenzen an. Und als er sich in Paula, die Tochter der befreundeten Industriellenfamilie Bosch verliebt, ist das Ende nahe.
Clara muss an zwei Fronten kämpfen. Privat verliert sie, Zundel verlässt die Zetkin 1922, sie zieht nach Berlin um, erst 1928 folgt die Scheidung.
Die zweite Trennung ist nicht weniger dramatisch: Sie verlässt 1917 die SPD, der sie ihre beispiellose Karriere verdankt (sie gehört seit 1901 dem Parteivorstand an) und die zur Plattform ihrer Frauenpolitik wurde. So organisiert sie zum Beispiel bereits 1910 (gegen den Willen ihrer männlichen Kollegen) die Zweite Internationale Sozialistische Frauenkonferenz.
Kopenhagen, 27. August 1910. Claras zweite große Rede. Sie plädiert für die Einführung eines jährlichen »Internationalen Frauentages«, um die
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