Starke Frauen
Solidarität der Frauen zu stärken, wird zur Sekretärin der neu gegründeten Sozialistischen Fraueninternationale gewählt. Am 8. März 1921 demonstrieren Millionen Frauen für ihre Rechte: »Die Frau dem Mann gleich? Lächerlich!«, schreibt Genosse Victor Adler. Während des Ersten Weltkrieges zerfällt die Internationale der Männer, die Genossen werden Nationalisten und sterben in den Schützengräben. Clara beruft 1915 eine Frauenkonferenz in Bern ein. Der internationale Zusammenhalt der Frauen aller Kriegsländer ist ein Schlag ins Gesicht der Macho-Sozis, im Hauptquartier der Partei wächst die Aversion gegen die eigenständige Politikerin.
Am 15. Mai 1917 wird der Chefredakteurin der Gleichheit eine fristlose Kündigung zugestellt. Sie reagiert mit Pathos: »Mein Herr ist der gewaltige Gedanke des internationalen Sozialismus. Ihm fühle ich mich verantwortlich in jeder Minute meines Wirkens und vor einem strengeren Tribunal als jedem Parteitag: vor meinem Gewissen.« Obwohl sie 60 und sicher ist: »Materiell wird meine Existenz so gut wie ruiniert sein.«
Sie wechselt zur Kommunistischen Partei, die am 1. Januar 1919 von der Gruppe »Radikale Linke« um Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gegründet wurde. Am 23. März 1919 wird ihr die Chefredaktion der Kommunistin übertragen, sie wird ins Politbüro gewählt, ist Parteisekretärin, hat Funktionen in internationalen Gremien inne. Von 1920 bis 1933 sitzt Clara Zetkin als erste kommunistische Abgeordnete im Deutschen Reichstag, fordert Solidarität mit der Sowjetunion und vertieft die Freundschaft zu Wladimir Iljitsch Lenin. Lenin selbst verkörpert in ihren Augen den »neuen Menschen. Kommunist sein, das heißt: ein besserer Mensch sein, ein selbstloserer Mensch,ein tatendurstiger, kühnerer Mensch, als ihn die kapitalistische Moral zu erzeugen vermag.« Auf dessen Anregung hin entwirft sie Richtlinien zur kommunistischen Frauenarbeit, von ihm lässt sie sich »disziplinieren« (so nennen Kommunisten die Gleichschaltung).
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»Mein Leben ist das Leben der Partei«
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Zum Lohn wird die »Parteisoldatin« mit Ehrenämtern überhäuft und lebt seit 1923 in Russland. Diesmal residiert sie in einem Hotel, und man stellt ihr eine Datscha zur Verfügung. Sie gehört zum Establishment, für den Kreml verkörpert die »Grande Dame des Kommunismus« die ungebrochene Geschichte der Arbeiterbewegung. In Wirklichkeit ist sie nach Lenins Tod kaltgestellt, wohl auch, weil sie die Methoden seines Nachfolgers Stalin kritisiert.
Clara spürt das Alter, ist fast erblindet, hat Depressionen, erträgt kaum »meine tagdiebende, nutzlose, überflüssige Existenz«. Sie ekelt sich »bis zum Erbrechen vor der konventionellen Heuchelei« derer, mit denen sie »in Kampfgemeinschaft verbunden« sei. Die deutschen Kommunisten verteilen zu ihrem 70. Geburtstag 1,7 Millionen Flugblätter, 129 000 Postkarten und 1 Million Klebemarken mit Zetkins Konterfei.
Berlin, 30. August 1932. Claras dritte große Rede. Ihre letzte. Sie eröffnet als Alterspräsidentin den Reichstag, das Plenum wird von Faschisten dominiert, mit 37,4 Prozent die stärkste Fraktion. Unter Nazi-Gejohle appelliert sie an die »Einheitsfront aller Werktätigen, um den Faschismus zurückzuwerfen«. Und sie warnt die Frauen vor dem Faschismus, »in dem die Frau nichts sein soll als Gebärmaschine und dienende Magd des Mannes, ihres unumschränkten Herrn und Gebieters«. Dann übergibt sie die Präsidentschaft statutengemäß an Hermann Göring, den Vertreter der stärksten Fraktion. Die Machtübernahme der Nazis erlebt sie in Moskau.
Sie polarisiert ein Leben lang. Friedrich Engels imponiert ihre »ungeheure Schaffenskraft und ihre leicht hysterische Begeisterung, aber ich habe sie sehr gern«. Kaiser Wilhelm II. hält sie für »die gefährlichste Hexe des Deutschen Reiches«. Wie war sie wirklich? Wieglaubwürdig ihre Maxime, dass es keinen »Zwiespalt zwischen sozialen Idealen & dem persönlichen Charakter« geben darf ? Einerseits lässt sie sich ungeschnürt, ohne Korsett fotografieren, ist aber andererseits nicht bereit, auf kostbare Pelzkragen und Perlenketten zu verzichten. Ihre bürgerlichen Wurzeln hadern mit ihren gesellschaftlichen Utopien.
Clara muss trotz aller Widersprüchlichkeit ein integrer Mensch gewesen sein, denn sie besteht ihre größte Feuerprobe: 1906 wird Sohn Kostja Geliebter ihrer besten Freundin und Kampfgenossin Rosa Luxemburg. Sie ist 14 Jahre älter, umschwärmt ihren »geliebten
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