Starker als dein Tod
war gerade dabei, aus der Duschwanne zu klettern, da betrat Zack das Badezimmer. Wäre die ganze Situation nicht so bedrohlich gewesen, hätte sie bei seinem Anblick vielleicht gelacht. Mit seinem kleinen Bärtchen, der Brille, der verkniffenen Miene und den hochgezogenen Schultern wirkte er wie ein braver Bücherwurm. Sie wusste nicht, wann es ihm gelungen war, das auch noch hinzukriegen, aber er hatte sogar gefärbte Kontaktlinsen eingesetzt. Die Verkleidung war wirklich verblüffend.
„Das war verdammt knapp“, sagte er und verwandelte sich vor dem Spiegel wieder in den alten Zack.
„Was machen wir jetzt?“, fragte sie.
„Wir brauchen einen Wagen.“ Er sah auf den Wecker neben dem Bett. „Ich darf das Treffen nicht versäumen, das ich mit meinem Kontakt bei MIDNIGHT vereinbart habe.“
„Wie kommen wir an ein Auto?“
„Da wir keins kaufen können, müssen wir uns eines leihen.“
Emily gefiel es nicht, wie er das Wort „leihen“ betonte. Es klang zu sehr nach „stehlen“, und mit der Polizei dicht auf den Fersen war dies der schnellste Weg, gefasst zu werden.
„An diesem Ort wimmelt es vor Cops“, warf sie ein. „Wie um alles in der Welt sollen wir da einen Wagen klauen?“
„Die Straße hinunter gibt es eine Autowerkstatt. Ich habe sie heute Morgen entdeckt, als ich losging, um ein Telefon zu suchen. Die Werkstatt ist sonntags geschlossen, doch es stehen mehrere Wagen auf dem Parkplatz, die dort auf ihre Reparatur warten.“
„Großartig. Wir stehlen einen kaputten Wagen.“
Er grinste. „Wir stehlen einen Wagen, den vor morgen niemand vermissen wird.“
Emily wollte gerade protestieren, da beugte er sich vor und küsste sie. Die Mischung von Adrenalin und Begehren berauschte sie so sehr, dass sie den Kuss erwiderte. Sie wusste, wie riskant es war, ihrem Verlangen nachzugeben, während sie nur eine Handbreite davon entfernt waren, geschnappt zu werden – oder Schlimmeres. Aber es war, als hätte er sie mit einem Zauber belegt. Mit einem Zauber, der sie zumindest ihre Karriere kosten würde. Und im schlechtesten aller Fälle sogar ihr Leben.
Langsam rückte Zack von ihr ab und ihre Blicke trafen sich. „Merk dir, wo wir stehen geblieben sind“, sagte er. „Wir treffen uns in fünf Minuten auf dem hinteren Parkplatz.“
Zack wählte den allradgetriebenen Jeep mit übergroßen Reifen und dem Schlüssel in der Zündung, und fünf Minuten später fuhren er und Emily auf der Hauptstraße Richtung Norden zu dem Treffpunkt, den er mit seinem Kontakt von MIDNIGHT vereinbart hatte.
Dass Emily ihn begleitete, war das Letzte, was Zack wollte. Es bestand durchaus die Möglichkeit, dass sie in einen Hinterhalt gerieten. Er hatte darüber nachgedacht, sie im Sheriff-Büro abzusetzen, doch er wusste, dass sie in den Händen der Gesetzeshüter kein bisschen sicherer sein würde. Die Leute von
Lockdown
hatten eine Geschichte erfunden und eine Presseerklärung abgegeben. Die Polizei hielt Emily nun für die Komplizin eines Mörders. Es gab keinen sicheren Ort, wo er sie verstecken konnte. Er hatte keine andere Wahl: Er musste sie mitnehmen. Er hoffte nur, dass seine Entscheidung sie nicht das Leben kosten würde.
Emily, die wortlos auf dem Beifahrersitz saß, starrte aus dem Fenster, als ob die verschneite Landschaft da draußen die Antworten bereithielt, die sie so verzweifelt brauchte. Zack wünschte, er könnte ihr etwas Ermutigendes sagen, allerdings war auch er mit seinem Latein am Ende.
Es waren vor allem die dunklen Schatten in ihren Augen, die ihm am meisten Sorgen bereiteten.
„Was beschäftigt dich?“, fragte er, um das immer drückendere Schweigen zu unterbrechen.
„Mir fällt keine Möglichkeit ein, wie wir wieder aus dieser Sache herauskommen.“ Sie schaute ihn lange und prüfend an. „Die Polizei hält dich für einen Killer. Und sie glauben, dass ich deine Komplizin bin.“
„Wir kommen hier wieder raus.“ Es streckte die Hand aus und legte sie auf ihre. „Eins sollst du wissen: Auch wenn es das Letzte ist, was ich tue, ich werde dafür sorgen, dass dein Name reingewaschen wird.“
Seufzend senkte sie den Kopf. „Ich weiß nicht einmal mehr, wer ich bin, Zack.“
„Du bist ein anständiger Mensch, der sein Leben aufs Spiel setzt, um das Richtige zu tun.“
Sie hob den Kopf und suchte seinen Blick. „Oder vielleicht bin ich hier, weil …“ Ein weiterer Seufzer entfuhr ihr. „Weil ich jedes Mal, wenn du mich ansiehst, und jedes Mal, wenn du mich berührst,
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