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Stars & Stripes und Streifenhörnchen

Titel: Stars & Stripes und Streifenhörnchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Streck
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Fernsehen über Bluthochdruck und Leberbeschwerden reden, beschleunigt sich mein Puls, und ich fühle einen eigenartigen Druckschmerz an der Stelle, wo ich die Leber vermute.
    Hypochonder, selbst leichte, haben es schwer in Amerika. Sie kriegen es von allen Seiten. Denn Pillen, Tropfen und Krankheiten spielen im amerikanischen Alltag eine gewaltige Rolle. Bestimmt tun sie das auch in Deutschland, aber wir konnten uns nicht daran erinnern, dass in der Tagesschau derart ausführlich über Gicht, eitrige Zysten und neue Bakterien berichtet worden wäre.
    Wenn wir die Abendnachrichten überstanden haben, heißt dies noch lange nicht, dass es dann vorüber wäre mit medizinischer Rundumversorgung. Die Werbung hierzulande ist nämlich zugeschnitten auf alle möglichen Spielarten des Unwohlseins, und man könnte glatt den Eindruck gewinnen, dass ganz Amerika ziemlich krank ist und weite Teile der männlichen Bevölkerung unter »E.D.« leiden, einer wonnigen Abkürzung für »erectile dysfunction«, einer wonnigen Umschreibung für Impotenz. Viagra war früher, heute ist Cialis und Levitra. Ungeheuer viel Werbung zielt in Amerika unter die Gürtellinie. Man sieht in diesen Spots glückliche ältere Paare händchenhaltend am Strand liegen oder sitzen, und sie zwinkert ihm neckisch zu, worauf er sich erhebt, der Mann, und sodann schlendern sie gemeinsam Richtung Dünen oder Zimmer, und der Rest ist der Phantasie des Zuschauers überlassen.
    »E.D.« scheint eine Seuche zu sein in diesem Land, aber glücklicherweise hat meine leichte Hypochondrie die Lendengegend noch nicht erreicht.
    Unsere Idee, nicht krank zu werden, stieß also auf Hindernisse im Alltag schon wegen Fernsehen und Hypochondrie. Aber auch so. Gleich am zweiten Schultag rief Mary, die Krankenschwester an der Lehranstalt, bei uns an, um der Frau mitzuteilen, dass beide Töchter unter, und sie zitierte, »Kopfschmerzen und Kotzgefühl« litten. Mary hat oft bei uns angerufen, stets mit der Eingangsformulierung: »Hi, hier ist Mary von der deutschen Schule, keine Sorge, es ist nichts Schlimmes, aber…« Mal war Fieber, mal waren Zahnschmerzen, mal waren Prellungen, und ziemlich oft war Kotzgefühl.
    Der Vorsatz, nicht krank zu werden, ließ sich trotz aller Bemühungen in der Praxis nicht eins zu eins umsetzen, und den Mann erwischte es als ersten mit einer Kinderkrankheit, welche sich durch rötlichen Ganzkörper-Ausschlag äußerte. Es sah – vorsichtig ausgedrückt – nicht eben appetitlich aus, Frau und Töchter hielten sich vorsichtshalber fern, aber das konnte keine Dauerlösung sein. Auf diese schnöde Art und Weise endete, knapp drei Monate nach unserer Ankunft, der Vorsatz, Arztpraxen nicht zu betreten.
    Kurz darauf wuchs an der Stelle am Kinn, wo der entfernte Grützbeutel mal gewesen war, ein neuer Grützbeutel. Die Töchter fanden das abermals urkomisch, »klingt wie eine Nachspeise«, aber die Hautärztin konnte mit dem Begriff herzhch wenig anfangen und taufte den schönen Grützbeutel einfach um in »epidermal cyst«, was weniger heiter und eher nach richtiger Krankheit klang. Sie entfernte ihn und sagte: »Damit müssten Sie jetzt Ruhe haben.«
    Kurz darauf brach sich die jüngere Tochter beim Ballett den Fuß, was wir allerdings zunächst als ordinäre Verstauchung abtaten. Wir zogen abends, es war Halloween, mit der Kleinen sogar noch um die Häuser. Das heißt, wir trugen sie mehr um die Häuser. Im Krankenhaus waren sie über unsere Eingangsvermutung, »bestimmt nur verknackst«, wenig begeistert.
    Kurz darauf musste der älteren Tochter ein gewaltiger Splitter aus dem Fuß operiert werden.
    Kurz darauf schwoll mein Knie auf Handballgröße, alter Fußball-Schaden, und der Orthopäde verschrieb mir neben Schmerzmitteln zur großen Freude der Töchter einen Stock, »jetzt siehst du aus wie Doktor House«.
    Kurz darauf, und wieder grüßt das Murmeltier, war der Grützbeutel am Kinn wieder da, und diesmal lachten nicht mal mehr die Töchter.
    Wir gingen fortan, Kosten hin und her, sogar zu zahnärztlicher Vorsorge, nachdem sich beim Mann ausgerechnet während der »Katrina«-Tragödie in New Orleans ein längst für tot erachteter Weisheitszahn quicklebendig zurückmeldete – eine Katastrophe kommt selten allein –, was den Beginn einer Jahre währenden dentalen Odyssee einleitete. Die Fachkraft Dr. Peterson inspizierte den Rachenraum, nahm seinen Mundschutz ab und sagte: »This looks like a major operation.« Das war keine leere Drohung,

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