Stars & Stripes und Streifenhörnchen
sondern der Beginn einer innigen Arzt-Patient-Beziehung. Etwa zwei Jahre und viele, viele Dollar später schüttelte er mir die Hand und sagte: »Wir sind einen langen, langen Weg gemeinsam gegangen.« Das klang so, als hätten wir soeben gemeinsam den Mount Everest bestiegen. Es war ein langer, steiniger Weg da rauf, den Everest …
Als die provisorische Brücke zum sechsten Mal aus dem Mund purzelte und diesmal, platsch, in einer chinesischen Nudelsuppe landete, war das überhaupt nicht mehr schlimm. Niemand in »Ming's Deli« auf der Third Avenue schaute verblüfft. Wahrscheinlich ist es ganz normal, dass provisorische Brücken aus Mündern in Suppen fallen, und ich selbst hatte mich an solcherlei Imponderabilien längst gewöhnt. Der letzte dentale Notbehelf war nur zwei Wochen zuvor in einem mexikanischen Taco stecken geblieben und fand sich erst nach einigem Suchen im benachbarten Salsa-Häufchen wieder. »Über sieben Brücken musst du gehen« kommt nicht von ungefähr.
Das sechste Mal war also nur Routine. Sie kannten unsere Familie inzwischen sehr gut beim Zahnarzt. Sie mochten uns dort. Die netten Damen im Vorzimmer fragten nie, was dem werten Patienten denn fehlte, sondern, wie der werte Patient zu zahlen gedenke: Cash, Kreditkarte oder Krankenkasse. Wer diese Frage zufriedenstellend beantwortet, wird behandelt. Cash ist am besten. Sie sind reizend, die Vorzimmerdamen.
Unser Zahnarzt Dr. Peterson ist ein munterer Mann Ende vierzig, der entweder unablässig Witze erzählt oder von seinem letzten Urlaub, vorzugsweise Hawaii, während er Wurzeln behandelt oder Brücken und Provisorien einklebt, die ein paar Wochen später in Weichspeisen oder Nudelsuppen enden. Man hätte ihm gerne gesagt, dass er bitte ruhig sein soll, denn es war klar, dass allein unsere Kleinfamilie wenigstens eine Woche Hawaii finanzierte.
Amerikanische Ärzte gehen prinzipiell immer auf Nummer sicher, schon aus Angst verklagt zu werden und nicht mehr nach Hawaii fahren zu können. Mein Gebiss wurde wenigstens sechsmal geröntgt, und die Gammastrahlen-Belastung müsste reichen bis zum Ende meiner Tage. Obendrein neigen sie dankenswerterweise dazu, den Schmerz so klein wie möglich zu halten, weshalb solche Mengen des Narkotikums Novocaine ins Zahnfleisch appliziert werden, die Polarbären einschläfern könnten. Und schließlich ist Zahnarzt nicht gleich Zahnarzt, schon gar nicht in Amerika. In unserer Nachbarstadt gibt es sogar einen »Dental Spa«, eine Art Wohlfühlpalast für Zahnkranke. Man kriegt dort nach Kräutern duftende warme Lappen um den Hals gelegt, ehe die Experten in die Mundhöhlen absteigen. Kostet zwar mehr, erhöht aber den Spaß beim Bohren immens, versichern sie. Die Patienten oder besser: die Gäste in dem Zahnpalast wirken allesamt glücklich und zufrieden, als würden sie in diesem Spa ihre Flitterwochen verbringen. Vielleicht kriegen sie aber auch nur Lachgas als Betäubung.
Wir sehen nie so glücklich aus, wenn wir zum Zahnarzt müssen.
Streng genommen haben wir nicht nur einen Zahnarzt, sondern vier: einen ganz normalen Zahnarzt (den mit den Witzen und Hawaii), einen für Zahnspangen (für die jüngere Tochter), einen fürs Zähneziehen (für den Mann des Hauses), einen Brückenbau-Experten schließlich für Implantate, die dort hinkommen, wo früher mal die gezogenen Zähne standen. Sehr zuvorkommende Menschen allesamt, mit netten Vorzimmerdamen, »cash, Kreditkarte oder Kasse?«. Wahrscheinlich fahren alle Zahnärzte nach Hawaii.
Wobei, und das muss mal klargestellt werden, es eine Mär ist, dass amerikanische Ärzte irre viel verdienen. Das war mal in Amerika, aber nun hängt das Gesundheitswesen am Tropf, und erstmals überhaupt studieren mehr Frauen als Männer Medizin, weil man mit Koliken entschieden weniger Kohle verdient als mit Hedgefonds. Unser guter Bekannter William, Spezialist für Darmspiegelungen, klärte uns auf, dass er es nie zum Millionär schaffen würde, »obwohl ich von morgens bis abends nichts anderes mache als in Arschlöcher zu gucken«. Er fährt trotzdem Porsche, und auf Hawaii war er dank der Arschlöcher auch schon.
Der Spezialist fürs Zähneziehen, Dr. Wallace, ein Mann von rustikalem Humor und fataler Ähnlichkeit mit Crocodile Dundee, begrüßte mich mit kräftigem Händedruck, setzte zwei Spritzen und beglückte mich – während er sich über einen entzündeten Weisheitszahn hermachte – mit der Geschichte seines Bruders, eines Piloten, der ihm als Gegenleistung
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