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Stars & Stripes und Streifenhörnchen

Titel: Stars & Stripes und Streifenhörnchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Streck
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den Everest erklommen wie Edmund Hillary und Sherpa Tenzing. Ich war fraglos Sherpa Tenzing, ich musste ja die Kosten tragen. Der Doktor schüttelte mir die Hand am Ende unseres gemeinsamen Weges. Er wünschte mir viel Glück, richtete beste Grüße auch an den Rest der Kleinfamilie aus, und dann fiel sein Blick auf mein Kinn. Er schaute besorgt und sprach: »Sie haben da was. Sieht aus wie eine Zyste. Sie sollten mal zum Hautarzt gehen.«



American Eggball
Sport hüben wie drüben
    Einen Monat nach unserer Ankunft wurden wir zeitweilig Fans der New York Yankees. Wir konnten gar nicht anders. Es kam einfach über uns und die ganze Stadt. Nun ist es nicht so, dass unsere Kleinfamilie Baseball als besonders faszinierend empfunden hätte. Jenseits der USA interessiert zu Recht kaum jemanden, warum füllige Männer in pyjamaähnlichen Anzügen mit einem Holzstock auf einen Ball dreschen, hernach auf ein Kissen zukeuchen und die Chuzpe besitzen, diese Beschäftigung auch noch Sport zu nennen.
    Aber im Oktober 2001 war das anders. Damals war auf die Yankees noch Verlass. Immer wenn es Oktober wurde, waren die Yankees da und schafften es irgendwie ins Finale, und meistens gewannen sie. Die Yankees aus der Bronx sind das Bayern München der USA. Nur noch unbeliebter, was schon was heißen will, weil noch erfolgreicher. Was auch was heißen will. Entweder man hasst sie oder man hebt sie. Außerhalb New Yorks hebt die Yankees niemand. Ganz besonders verhasst sind die Yankees in Boston, der Stadt ihres Erzrivalen, wo sie T-Shirts mit dem Slogan verkaufen »I support the Boston Red Sox and every team that beats the Yankees.« In Boston werden die Yankees auch gern als »The Evil Empire«, das Reich des Bösen, bezeichnet. Aber auch das war anders im Oktober 2001. Die Trümmer auf Ground Zero dampften noch, und die Yankees standen gegen die Arizona Diamondbacks im Finale, was sie in Amerika gleich »World Series« nennen. Das ganze Land mochte plötzhch die Yankees oder hasste sie ein bisschen weniger, weil alle dachten, die New Yorker bräuchten Trost. Und genauso dachten wir auch, die Frau, die Töchter und auch der Mann. Also saßen wir abends vor dem Fernseher und schauten dicken Männern in gestreiften Schlafanzügen zu, die mit Holzstöcken auf Bälle schlugen. Wir begriffen die Regeln nicht vollständig, damals nicht und heute nicht, und die ältere Tochter brachte es auf den Punkt: »Sieht aus wie Feuerball für Dicke.« Darauf konnten wir uns einigen. Unter normalen Umständen wäre die Wiederholung der Ziehung der Lottozahlen von 1973 spannender gewesen, als den Yankees und den Diamondbacks zuzugucken. Aber die Umstände waren eben nicht normal. Im Oktober 2001 halfen die Yankees der Stadt und irgendwie auch uns. Die Zuschauer trampelten auf den Tribünen des morschen Yankee-Stadions, als sie die Mariners aus Seattle im Halbfinale besiegten. Sie feierten die Spieler und damit sich selbst. Sie hielten sich nicht mal die Ohren zu, als der Polizist Daniel Rodriguez mittendrin »America the Beautiful« schmalzte. Was hochgradig schrecklich war, aber wenigstens Placido Domingo gefiel, der Herrn Rodriguez prompt zum Probetraining einlud.
    Psychiater wurden seinerzeit befragt über die Auswirkungen der Yankee-Siege auf New York, und alle sagten so was Überraschendes wie: toll, toll, toll für die verwundete Stadt. Gemeinschaftsgefühl, Stärke und immer wieder: NORMALITÄT. Es war Oktober, und die Yankees standen im Endspiel. Danach konnte man früher die Uhren stellen.
    Vor der City Hall, nur wenige hundert Meter entfernt von Ground Zero, gab es eine Feier für die Yankees, ehe sie aufbrachen nach Arizona zum ersten Endspiel. Ein Redner in kreischrotem Blouson, Curtis Swila, Gründer der »Guardian Angels«, einer Art Bürgerwehr, sagte kreischblöde Dinge – »Es ist Gottes Wille, dass wir die World Serie gewinnen.« Er sagte 23-mal das Wort »greatest« in neun Minuten. Der singende Polizist Rodriguez schmetterte diesmal die Nationalhymne, und wieder hielt sich niemand die Ohren zu. Es gab Zuckerwatte und Hotdogs und Eis und eine Rede des damaligen Bürgermeisters Rudy Giuliani. Es war in einem Wort: grauenhaft. Und eben deshalb gut, weil fast so wie früher, als die Türme noch standen, nebenan. An diesem Tag sahen die Töchter zum ersten Mal Ground Zero, und sie waren tief gerührt. Von Rudy Giuliani waren beide weniger gerührt, und das hat sich bis heute nicht geändert.
    Die Yankees verloren die Serie in sieben

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