Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Stars & Stripes und Streifenhörnchen

Titel: Stars & Stripes und Streifenhörnchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Streck
Vom Netzwerk:
überfahren, aber sie drehte sich um und rief uns »reschedule« zu. Bernd und ich fühlten uns. klein und dumm und überlegten lange, ob wir unser betrübliches Versagen überhaupt jemandem beichten sollten. Wir verständigten uns auf engste Freunde und Angehörige und sonst niemanden.
    Die Frau mochte es kaum glauben, sie lachte, die Töchter dachten an einen Witz, »ach komm«, und die ältere sprach: »Bei mir in der Klasse haben schon drei Leute den Führerschein, und du schaffst das nicht?« Ich erzählte von der hohen Durchfallquote an diesem Tag, »eine bestanden, acht durchgefallen«. Normalerweise redeten die Töchter so mit uns, wenn eine Arbeit in der Schule danebengegangen war. Am Ende konnten wir uns darauf einigen, dass die Pathologin vielleicht einfach nur einen schlechten Tag hatte oder einen schlechten Monat oder ein schlechtes Jahr oder ein schlechtes Leben. So was passiert ja.
    Bernd und ich beantragten anderntags online sofort einen neuen Prüftermin. Wir fuhren sogar heimlich die Teststrecke ab, obwohl das streng verboten ist. Wir freuten uns sogar auf »804«, wir wollten Rache. Es sollte unser Pay-Back-Day werden. Zwei Tage vor der zweiten Prüfung fiel Eisregen in New York. Ich stürzte aber nicht draußen, sondern groteskerweise im Bahnhof Grand Central Terminal; es muss dort wohl glatt gewesen sein. Der linke Knöchel schmerzte höllisch, das rechte Knie schwoll auf Handballgröße. Es war kein schöner Anblick, und ein freundlicher Polizist wollte sogar einen Krankenwagen rufen, was ich dankend ablehnte und zum Zug humpelte. Der Arzt röntgte am nächsten Morgen die geschundenen Gelenke. »Glück gehabt«, sagte er, »nichts gebrochen, nichts gerissen, aber schlimm gedehnt.« Er verschrieb Salbe und starke Schmerzmittel und: »Absolutes Fahrverbot, versteht sich.« An diesem Morgen, wenige Wochen vor unserem Rückzug nach Deutschland, endete ein für alle Mal mein Versuch, in Amerika die Fahrerlaubnis zu bekommen.
    Bernd schwört unterdessen, Pathologin »804« habe ansatzweise gelächelt, nachdem er bestanden hatte.



Flaschengeist und Mettbrötchen oder: »Who the fuck is Alice?«
Abschied und Rückkehr
    Wir haben lange, lange Abschied genommen von Amerika. Ziemlich genau sechs Jahre lang. Unsere Vermieterin Rosa tat von Anfang an nämlich alles, um uns den Abschied zu erleichtern. Das begann mit der hohen Miete und Rosas Geschichte. Sie hatte die Villa Kunterbunt zuvor bewohnt, dort eine Art Wohngemeinschaft für esoterische Pensionäre betrieben, mit denen sie Yogakurse auf der Terrasse abhielt. Irgendwann hatten die Alten die Nase voll von Frühgymnastik oder von Rosa oder von beidem. Sie zogen aus, und Rosa glaubte, das Haus in einem 1A-Zustand hinterlassen zu haben. Grober Unfug natürlich.
    Rosa war notorisch geizig und weigerte sich strikt, selbst dringend notwendige Reparaturen zu bezahlen, was zur Folge hatte, dass wir winters vier Jahre lang erbärmlich froren wegen fehlender Isolierung im Kabelsalat-Keller und deshalb mit dicken Pullovern und überforderten Radiatoren im Wohnzimmer kauerten. In der Küche war es kaum besser. Frostblüten an den Fenstern, innen. Im fünften Jahr entdeckte die Frau durch Zufall – eine Kartoffel war zu Boden gefallen und unter einen Schrank gerollt  –, dass in der Küche sehr wohl eine Heizung existierte, allerdings famos getarnt als Belüftungsschacht unterm Spind. Ein spitzer Schrei kündete von ihrem Fund, denn von nun an war es nicht mehr nötig, frühmorgens um halb sieben den Backofen, unseren langjährigen Heizungsersatz, auf volle Temperatur zu stellen und dessen Tür zu öffnen, um eine Andeutung von Wärme zu ergattern.
    Das war ein schöner Tag für unsere Kleinfamilie.
    In diesem fünften Jahr hatte unsere Vermieterin auch ein Einsehen und ließ den Keller notdürftig isolieren, aber nur auf sanften Druck der Frau, die damit gedroht hatte, das lokale Fernsehen zu alarmieren.
    Das einzig Positive an Rosa war, dass sie eineinhalb Jahre brauchte, bis sie uns erstmals persönlich heimsuchte. Es war kurz vor dem Irak-Krieg, Rosa inspizierte ihr Eigentum und versprach Verbesserungen hier wie dort. Keller wird gemacht. Das Dach wird gefixt, in der Einfahrt kommen Steine auf den Lehm, an die Straße kommen Bäume, die Yogaterrasse wird gestrichen. Hörte sich gut an, waren aber Fensterreden. Dann kam sie auf den bevorstehenden Krieg im Irak zu sprechen. Rosa konnte partout nicht verstehen, warum Präsident Bush den Irak überfallen

Weitere Kostenlose Bücher