Stars & Stripes und Streifenhörnchen
gedruckte Ausgabe des stern in die Hand, und, so ausgestattet, scheuchte er den Nager durchs Wohnzimmer und von dort durch die Eingangstür. Ich war selten stolzer auf mein Blatt. Die Frau bedankte sich überschwänglich, und der Polizist sprach: »Dafür sind wir doch da.« Vermutlich hatten sie ohnehin nichts Besseres zu tun an diesem Tag.
Unser Verhältnis zur hiesigen Polizei war also grundsätzlich harmonisch und hätte das auch bleiben können, wenn ich nicht eines Tages und ausgerechnet im letzten Jahr in Amerika wieder bei Gelb mit minimaler Tendenz zu Rot über die Ampel gefahren wäre. Diesmal zog das dumme Gesicht auch nicht mehr, oder die Beamten hatten sich schlicht an mein dummes Gesicht gewöhnt. Ich wurde zu 350 Dollar Strafe verbrummt und bekam die Auflage, den Führerschein zu machen, und zwar subito, »sonst wird Ihr Wagen stillgelegt«. Die Frau beschloss, die sechs illegalen führerscheinlosen Jahre in Amerika komplett zu machen, »ich zieh' das jetzt durch«. Aber mir blieb keine Wahl. Ich musste. Obschon mich Freunde und unsere lieben Nachbarn David und Myra ausdrücklich gewarnt hatten. Denn die immer wieder zitierte Freundlichkeit der Amerikaner verflüchtigt sich, sobald sie in Behörden hinter Schaltern sitzen. Am schlimmsten ist die Kombination von Schalter plus Uniform. Als besonders rüde und obendrein komplett inkompetent gelten nun leider die Damen und Herren des »Department of Motor Vehicles«, DMV, welche ausgerechnet für das Ausstellen von Fahrlizenzen zuständig sind. Vor allem die DMV-Damen sind berühmt und berüchtigt in Amerika, jeder kann Horrorgeschichten über sie beitragen. Aber ich mochte die Horrorgeschichten nicht glauben. Inkompetent? Gewiss. Aber rüde?
An einem Freitag morgen begab ich mich gut gelaunt nach Harlem ins DMV-Büro in der löblichen Absicht, dort und mit sechs Jahren Verspätung endlich einen amerikanischen Führerschein zu beantragen. Nach erstaunlich kurzer Wartezeit von einer Stunde traf ich am Schalter auf eine Dame, die in meinem Pass blätterte und von mir einen »Proof of birth« verlangte. Ich sagte, der Beweis meiner Geburt stehe doch vor ihr, und fand das recht amüsant und für meine Verhältnisse schlagfertig. Aber sie fand das weder amüsant noch schlagfertig. Sie schaute mich böse an, denn in Behörden macht man keine Witze, schon gar nicht über sich selbst und generell nicht. Behörden in Amerika sind definitiv humorfreie Zonen. Sie drückte mir einen grünen Zettel in die Hand, schrieb mit roter Kugelschreiberschrift »Proof of birth« darauf und schickte mich zu ihrem »Supervisor«, Schalter 14. Der »Supervisor« war eine Sie, hieß, unvergessen, Carol Jean-Francois, und eigentlich wollte ich ihren schönen Namen loben, aber dann blickte ich in ein steinernes Gesicht und nahm Abstand von dieser Idee. Carol nahm wortlos den grünen Zettel, blätterte spürbar missgelaunt in meinem Pass, stieß auf das Visum und sprach: »Abgelaufen.« Ich dachte im ersten Moment, dass die steinerne Lady doch einen Funken Humor in sich trage, und lachte verhalten über den meines Erachtens nur mäßig witzigen Witz, um guten Willen zu demonstrieren. Aber sie lachte nicht. Das Steingesicht wiederholte bündig: »Abgelaufen.« Ich sagte: »Was ist abgelaufen?«. Sie sagte: »Ihr Visum ist am 7. Mai abgelaufen.« Ich sagte: »Es ist noch viereinhalb Jahre gültig« und zeigte auf die Stelle im Pass, in der zweifelsfrei und sogar auf Englisch stand, dass das US-Visum noch viereinhalb Jahre gültig sei. Aber Carol blieb dabei. Ich bat sie, immer noch höflich, vielleicht doch mal eine Kollegin zu konsultieren, und machte auf diese Art Bekanntschaft mit Mrs. Gibbs, deren Eltern offenbar vergessen hatten, ihr einen Vornamen zu schenken. Mrs. Gibbs blickte gleichfalls steinern, vermutlich Einstellungsbedingung, trug obendrein aber noch eine schwarze Brille, die ihrem Steingesicht noch mehr Strenge und Autorität verlieh. Carol und Mrs. Gibbs zusammen verströmten den Charme eines Exekutionskommandos. Immerhin klärte Mrs. Gibbs ihre Kollegin auf, dass mein Pass in der Tat gültig sei und der Stempel vom Einreise-Beamten stamme. Aber weil Carol leider die Supervisorin war, gewissermaßen Steingesicht erster Klasse, musste Mrs. Gibbs, Steingesicht zweiter Klasse, nun etwas finden, was den Erwerb des Führerscheins zunichte machen würde. Und sie fand. Natürlich fand sie. Sie murmelte etwas von Einreiseformularen, die ich gefälligst beizubringen hätte, die
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