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Startschuss

Startschuss

Titel: Startschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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hatte er sich bei einem Start so elend gefühlt wie in diesem Moment. Warum nur hatte er ausgerechnet heute Vormittag
     solche Magenbeschwerden bekommen? Lennart hatte noch so gut mit ihm trainiert, ganz besonders an seinem Start gefeilt. Michael
     kam meistens ungeheuer langsam aus den Startblöcken. Er reagierte einfach immer zu spät. Deshalb hatten Lennart und Linh mit
     ihm spezielle Reaktionsübungen absolviert. Lennart ging stets ab wie eine Rakete. Und Linhs Reaktionsvermögen, eisern geschult
     durch ihre asiatischen Kampfsportarten, brauchte sich hinter seinem nicht zu verstecken.
    Michael versuchte, all diese Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen, um sich nur auf den Lauf zu konzentrieren, auf den Start.
    »Fertig!«
    Michael hob sein Hinterteil, wobei seine Hände unverändert auf dem Boden ruhten.
    Er blickte aufs Ziel. 100   Meter vor ihm. Dort musste er hin. 100   Meter Konzentration, 100   Meter alles geben. Volle Power, von der ersten Hundertstelsekunde an. Sein Magen kniff, als würde ihn ein Tier von innen beißen.
     Michael verzog schmerzhaft das Gesicht.
    Der Startschuss fiel.
    Tom schoss aus seinem Startblock wie ein Pfeil von der Sehne.
    Auch die anderen Läufer flitzten los.
    Michael sah sie.
    Alle.
    Von hinten.
    Erst dann begriff er, dass der Lauf begonnen hatte.
    »Was macht denn der?« Lennart mochte gar nicht hinsehen. Vor Entsetzen über Michaels miserablen Start hielt er sich die Hände
     vor die Augen.
    »Der pennt!«, rief Jabali fassungslos. »Der hat voll gepennt!«
    Ilka hielt sich ihre Hände vor den offenen Mund. Sie war schier sprachlos.
    Sieben Läufer flitzten über die Tartanbahn. Drei,vier Meter dahinter stampfte Michael den anderen nach wie ein krankes Walross.
    Linh zeigte keine Reaktion. Sie kniff ihre ohnehin schmalen Augen zu noch kleineren Schlitzen zusammen und beobachtete Michael
     mit strengem, ernstem Gesichtsausdruck.
    »Komm schon!«, schrie Ilka, um Michael anzufeuern. Sie wusste nicht, ob er sie hören konnte. Aber sie konnte nicht länger
     dastehen und gar nichts tun. »Die holst du noch. Komm schon!«
    »Das glaubst du doch selbst nicht«, zischte Lennart ihr zu.
    »Natürlich nicht!«, antwortete Ilka ehrlich. »Aber irgendwas müssen wir doch tun. Das ist . . .« Ihr fehlten die Worte, um
     das Desaster zu beschreiben, das Michael ablieferte.
    ». . . erbärmlich«, ergänzte Jabali. Es gab seiner Meinung nach kein anderes Wort für Michaels Vorstellung. Michael galt wegen
     des Heimvorteils als Favorit auf den Sieg im Zehnkampf. Und jetzt hinkte er schon in der ersten Disziplin hoffnungslos hinterher
     und ging mit 150   Punkten aus diesem Wettkampf heraus. 150 klang viel, war nach dem Berechnungsmodus dieser Mini-Olympiade aber bedauernswert
     wenig. Eine schöne Umschreibungvon
letzter Platz
! Peinlicher ging’s eigentlich nicht.
    Linh sagte nach wie vor nichts, sondern lief zu Michael, der unmittelbar nach der Ziellinie stehen geblieben war. Er beugte
     sich vornüber, die Hände auf die Oberschenkel gestützt, als müsste er sich übergeben, und hechelte wie nach einem Marathonlauf.
    Linh hockte sich wortlos vor ihn und reichte ihm eine Flasche Wasser. Dankbar nahm Michael sie an und trank gierig.
    Tom kam an ihnen vorbei. Während er in Siegerpose dem applaudierenden Publikum im voll besetzten Stadion zuwinkte, frotzelte
     er zu Michael hinüber: »Na, dieses Jahr wohl nicht in Form, wie? Schade für dich! So leicht hätte ich mir meinen Sieg nicht
     vorgestellt!«
    Michael warf ihm einen giftigen Blick zu. Aber Linh lächelte Tom freundlich an und sagte: »Die Dummen braucht man weder zu
     pflanzen noch zu säen; sie wachsen von ganz alleine.«
    »Hä?« Tom verzog sein Gesicht zu einer ratlosen Fratze. »Was soll das denn?«
    Linh machte sich nicht die Mühe, ihm das alte chinesische Sprichwort zu erklären. Michael huschteein kleines Lächeln übers Gesicht. Er wusste von Linhs Vorliebe für alte asiatische Weisheiten, die sie von ihren Kampfsportarten
     her kannte. Er wandte sich von Tom ab und ließ sich von Linh zu den anderen führen.
    »Was war denn los?«, fragte Jabali.
    »Ich habe mich lange nicht mehr so schlecht gefühlt«, jammerte Michael. Er legte sich auf das kleine Rasenstück zwischen Tartanbahn
     und Sitzbänken am Rande des Stadions. »Der Arzt meinte, ich hätte irgendwas Schlechtes gegessen. Das stimmt aber nicht. Ich
     esse vor Wettkämpfen immer das Gleiche.«
    »Hast du Apfelschorle getrunken?«, fragte Lennart.
    Michael

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