StasiPolka (German Edition)
niemand. Er ging zurück auf die Terrasse und fragte sich, wo Sonnenbrille und der dunkelhaarige Torwächter steckten. Rätselhaft. Nirgendwo Anzeichen von Gewalt.
Dann das dünne Motorgeräusch eines sich nähernden Wagens. Ein rostiger r oter R4 rollte auf den Parkplatz, Ruza und der kleine Junge stiegen aus. Er rannte an Vincent vorbei auf die Terrasse, während der auf die Alte wartete, die ihm mit einem Einkaufskorb voller Gemüse entgegen kam.
„Das Haus ist leer“, sagte Vincent, „wo können sie sein?“
Sie erschrak und setzte den Korb ab. Im gleichen Moment schrie der Junge auf. Sie liefen los und sahen ihn mit aufgerissenen Augen an der Brüstung lehnen, sein magerer Arm zeigte nach unten. Vincent trat neben ihn. Die Frage, wo der Blonde mit der Sonnenbrille abgeblieben war, hatte sich erledigt.
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„Sie haben ihm einen Schlag auf den Schädel verpasst und ihn dann über die Brüstung gekippt“, Milan sah Vincent kopfschüttelnd an, „du sagst, er war Leibwächter, wie kann ihm so was passieren?“
„Vielleicht hat er den Angreifer gekannt, war völlig arglos“, sagte Ivo. „So ein Bursche ist von Beruf misstrauisch. Meinst du, der dreht einem Fremden den Rücken zu? Kann natürlich sein, dass sie ihn zu mehreren überwältigt haben.“
Das Jaulen der Ambulanz, die den Berg hinab raste, war inzwischen nicht mehr zu hören. Während die Sanitäter Jelenas Leibwächter ins Auto verfrachteten, hatte Ivo den jungen Notarzt zum Abschied auf beide Wangen geküsst und ihm erklärt, der U nglücksrabe habe auf der Brüstung gehockt und das Gleichgewicht verloren. Ein bedauerlicher Unfall, vielleicht etwas Alkohol und Übermut im Spiel, nicht notwendig, deshalb die Polizei zu rufen. Der Arzt war nicht weiter überrascht, so was passierte besoffenen Touristen ständig.
Ivo und Milan waren zehn Minuten nach seinem Anruf eingeflogen. Vincent hatte zunächst Ruza mit dem Kleinen ins Haus geschickt, sich dann um den Blonden gekümmert, der auf dem Bauch lag, das Gesicht im Gras, der Hinterkopf eine matschige Masse aus Blut und Haaren. Es war noch Leben in ihm, wenn auch schwach, sein Puls raste, fühlte sich dünn an. Vincent drehte seinen Kopf langsam zur Seite, öffnete den verschmierten Mund und zog den Unterkiefer nach vorn. Mehr war nicht drin, er rief Ivo an und sagte ihm, die Bullen müssten aus dem Spiel bleiben.
„Wird der Arzt vorläufig dicht halten?“ fragte Vincent.
„So lange der Blonde nicht stirbt, auf jeden Fall. Der Doktor ist ein Junge aus der Nac hbarschaft, war schon mit uns raus zum Fischen.“ Ivo nahm einen kräftigen Schluck. Ruza hatte ihnen ein paar Details über den Blonden verraten und später Flaschenbier nach draußen gebracht. Unterdessen verklickerten Ivo und Milan dem Arzt, Sonnenbrille sei ein paar Tage zu Besuch, stamme aus Minsk und heiße Alexander Kolpow. Ein Kollege aus Jelenas Universitätszeiten. Nicht schlecht. Hoffentlich würden sie Alexei nicht in ein Akademikerschwätzchen verwickeln, wenn er noch mal aufwachte. Aber vielleicht hatte er ja die hundert Wörter drauf, die es dazu brauchte.
Langsam legte sich Vincents Panik. Sein erster Reflex hätte ihn fast dazu gebracht, auf der Maschine durch die Gegend zu hetzen, nach Verdächtigen zu suchen, Leute auszufragen, ob sie seine Tochter gesehen hatten. Natürlich Unsinn. Die Entführer wussten, was sie taten, bis auf den verletzten Leibwächter gab es keine Spuren von Gewaltanwendung.
Vincent machte sich Vorwürfe. Wieder war er zu leichtsinnig gewesen. Das galt für Flor ida und erst recht hier. Auf dem Schlachtfeld um ihn herum lagen die Nerven der Gegner blank, der Anwaltsdepp heute und sein absurdes Friedensangebot waren ein weiteres Indiz dafür. Und was tat er? Er spreizte sich als stolzer Vater und schob Rea für jeden Gangster sichtbar ins Rampenlicht. Es geschah ihm recht.
Aber so standen die Dinge nun, Selbstvorwürfe waren Zeitvergeudung. Wenn die Entführer Profis waren, würden sie Rea zunächst nichts antun, sie für einen Au stausch auf Eis legen. Nicht schwer, zu erraten, welcher Deal da auf ihn zukam. Graham, der Unauffindbare, gegen seine Tochter. Der Druck nahm zu.
Und warum Jelena? Wurde sie zufällig als Beipack kassiert, oder gehörte das ebenfalls zum Plan? Steckte die abstruse Idee dahinter, Baranowski eine Zeitlang zum Nichtstun zu zwingen? Konnte ja nie schaden, Feodors Augapfel als Tauschobjekt zu haben, wenn’s mal notwendig wurde, die Kurve zu kratzen. Irgend so was
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