StasiPolka (German Edition)
wieder etwas auf. Nach dem Showdown letzte Nacht hatte er einige Zeit im Badener Casino vertrödelt und später ein Taxi nach Wien genommen. Inzwischen wurde es im Osten langsam hell. Klarer Himmel, es versprach, schön zu werden. Er hockte in einem gut besuchten Frühcafe am Wiener Naschmarkt. Um ihn herum stimmten sich angesäuselte Nachtschwärmer und schlaftrunkene Frühaufsteher aufs Bett oder die Morgenschicht ein. Draußen richteten die Händler ihre Verkaufsstände her. Vincents Augen brannten. Er brauchte Schlaf.
Der Zweispalter im Regionalteil der Morgenzeitung war billig aufgemacht und dünn in den Fakten.
„ Unbekannter schießt auf Joggerin .“ Danach der übliche Bericht, wenn niemand Genaues weiß: Gestern sei in Baden auf einen weiblichen Kurgast geschossen worden; das Opfer habe im Villenviertel gejoggt; die Frau liege im Hospital, sei aber noch nicht vernehmungsfähig; nach einer Reihe von Hinweisen aus der Bevölkerung gehe die Polizei mittlerweile einer konkreten Spur nach .
Irgendein Redakteur hatte alles aus dem Text herausgebürstet, was den somme rlichen Frieden der Urlaubsgäste stören konnte.
Hier in Wien gab es nichts mehr für ihn zu tun. Nur Katja musste rasch in S icherheit gebracht werden. War sie eigentlich noch ein Ziel für die Killer, wenn sie den Anschlag überlebte? Selbst die Russen mussten einsehen, dass sie genug herum geballert hatten. Grahams Privatleben lag nun vollends in Trümmern, aber aufgetaucht war er immer noch nicht.
Mit halbem Ohr hörte Vincent dem turtelnden Paar an seinem Tisch zu. Das Mädchen hatte die schwarz gefärbten Haare hoch gesteckt und trug so viel Gold an Fi ngern und Handgelenken, dass sie jeden Metalldetektor im Umkreis von hundert Metern zum Pfeifen gebracht hätte. Diesmal lag keine Digicam auf dem Tisch, wie damals in Makarska . Der Junge beugte sich vor und flüsterte ihr etwas ins Ohr. „Ich weiß nicht recht“, sagte sie.
In Haussers Villa hatte Vincent genügend Wirrwarr hinterlassen, um alle Bete iligten eine Weile auf Trab zu halten. Wenn die beiden Burschen aus der Narkose erwachten, würde die Polizei auf ihrer Bettkante sitzen und Fragen stellen. Vor allem das Scharfschützengewehr. Katja und der Sohn des Hauses waren mit dieser Waffe angeschossen worden; man würde im Dachzimmer das Gewehrfutteral und Dankos Reisetasche finden. Dann der Revolver mit den Fingerabdrücken von Arno Schiller.
Und schließlich Anna, seine Mutter. Gestern hatte die Polizei mit Sicherheit den Jägerweg abgeklappert und auch sie befragt. Nicht einfach für sie, heute zu erklären, was das Schützenfest in ihrem Haus zu bedeuten hatte.
In der Luft hing der süße Duft von Schmalzgebackenem. Vincent winkte dem Kellner, bestellte einen Kringel und einen weiteren großen Braunen.
Würde Anna Schiller schweigen? Wenn sie klug war, stellte sie sich ahnungslos. Möglicherweise hatte sie noch im Tiefschlaf gelegen, als die Polizei in der Nacht a nrückte. Andererseits war ihr einziger Sohn angeschossen worden. Und wie würde sie reagieren, wenn sie erfuhr, dass Katja den Nachnamen Graham trug? Vincent war sich sicher, dass man sie früher oder später zum Reden bringen würde.
Entweder war es Liebeshunger oder Erschöpfung, jedenfalls schickten sich die Zwei an seinem Tisch zum Gehen an. Beide nickten ihm zu, verschwörerischer Stolz bei dem Jungen, müde Selbstgewissheit in den Augen des Mädchens. Hundertmal ges ehen, hundertmal selbst erlebt. Katja, wo bist du nur? Vincent probierte den warmen Schmalzkringel. Inzwischen wurde auch an den Tischen draußen vor dem Cafe das Frühstück serviert.
Was ihn selbst betraf, machte sich Vincent keine großen Sorgen. Die Polizei ha tte die Tatwaffe und den Täter gleich dazu. Außer Danko hatte ihn niemand gesehen, und wenn der Junge auspackte, würde sein Klan den Daumen über ihn senken.
Katja war einfallsreich genug in diesen Dingen und hatte sich gestern im Hotel geschickt im Hintergrund gehalten. Für die Angestellte an der Rezeption waren sie ein scheues Pärchen auf Abwegen. So etwas kam täglich vor, auch, dass die Gäste sich sp äter unauffällig verdrückten. Sein gestern benutzter Pass konnte sich für eine Weile im Schließfach der Frankfurter Bank schlafen legen.
Der Kaffee machte ihn auch nicht wacher. Bevor er einschlief oder begann, dumme Fehler zu machen, sollte er sich besser in Trab setzen. Er verließ das Cafe und mischte sich unter die Hausfrauen und Rentner, die auf dem Naschmarkt ihre
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