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STASIRATTE

STASIRATTE

Titel: STASIRATTE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Döhring
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Kollektiven ein Thema: Wo bekomme ich das passende Kleid? Und das war damals eine Herkulesaufgabe. Im schmucklosen Einzelhandel für Damenoberbekleidung hingen schlecht sitzende Hüllen in schrecklichen Farben von minderer Stoffqualität. Glücklich waren diejenigen, die es sich leisten konnten, im „Exquisit“ einkaufen zu gehen. Diese Läden gab es allerdings nur in Berlin und den Bezirkshauptstädten.
    So erinnere ich mich an meinen ersten Einkauf im „Exquisit“ Potsdam, der inmitten der Stadt in einem hässlichen schmutzig gelben Plattenbau zu finden war. Die Verkäuferinnen waren zahlreich im Gegensatz zur Ware und so stolz wie die Preise. Ich war schon zum zigsten Mal in dem Laden und hatte inzwischen eine olivgrüne Strickjacke mit braunen Holzknöpfen und Fledermausärmeln in mein Herz geschlossen. Jedes Mal probierte ich sie wieder an, schreckte aber wegen ihres Preises immer noch vom Kauf zurück. Doch immer, wenn ich auf meinem Nachhauseweg an dem Laden vorbeikam, schaute ich vorsichtshalber rein, ob sie noch an ihrem Platz hing. Das ging drei Wochen so, bis ich all meinen Mut zusammennahm und 90 Mark von meinem monatlichen Lehrlingsgeld, das 120 Mark betrug, in die Jacke investierte.
    Die Bäuerinnen, die also entweder durch teuren Einkauf, Kreativität oder Westverwandtschaft einen schicken Fummel oder ein feines Kostüm ihr eigen nannten, mussten nun noch den meist nicht so anspruchsvollen ländlichen Ehegatten in einen Präsent-Zwanzig-Anzug einpassen, ein paar passable Schuhe finden, und dann konnte es losgehen.
    Solchermaßen dekoriert fanden sie sich dann in einer Umgebung wieder, die den meisten völlig fremd und dementsprechend unheimlich war. So gab es die Übermütigen, die ihreUnsicherheit mit ganz viel Schnaps runterspülten. Es gab die Verzagten, die gar nicht erst in Stimmung kamen und demonstrativ schlechte Laune verbreiteten. Natürlich gab es die Kritischen, die sehr wohl bemerkten, was möglich war und für wen, wenn sie sich bei einem Rundgang durch das Hotel sorgfältig umsahen. Und dann die Optimisten, die in der Lage waren, die Situation als Geschenk und positiv zu begreifen. Die Arbeitgeber, also alle Volkseigentuminhaber, ließen sich diese Abende ordentlich was kosten. Schließlich waren die Feiernden meistens ein im sozialistischen Wettbewerb ausgezeichnetes Kollektiv. Sie hatten also im Gegensatz zur Nachbar-LPG ihre Produktion um soundso viel Prozent zum Vorjahr steigern können und dafür nicht nur Prämien und Orden erhalten, sondern durften ihren ökonomisch sozialistischen Sieg sogar im Spreehotel feiern.
    Nach Menü und Eisbombe, Kulturprogramm und Tanz ging meine erste Saalnacht allmählich ihrem Ende entgegen. Ab zwei Uhr morgens folgte nun die Aufräumschlacht und das schier endlose Gläserpolieren, währenddessen wir ebenso erschöpft wie aufgekratzt über den Abend redeten.
    Ich versuchte meine Berge von Eindrücken zu verarbeiten und plapperte kräftig mit. Als die Reizüberflutung langsam nachließ und ich den Mut fasste, Gerry um ein Urteil für meine Leistungen zu bitten, reagierte dieser etwas verlegen. „Na, war doch gar nicht schlecht“, musste genügen. Dann fügte er noch hinzu: „Wird sowieso nicht mehr so oft passieren, dass wir zwei uns ein Revier teilen.“ Auf meinen fragenden Blick hin erklärte er mir, dass für ihn ein Wechsel innerhalb des Hauses kurz bevorstand. Im ersten Moment war ich erschrocken, hatte ich doch gerade erst in ihm eine Art Anker bei ho-hem Wellengang gefunden. Aber es lag genauso in meiner Natur, sofort in die quirlige Runde zu schauen, um Ersatz zu finden.
    Als endlich im Saal gähnende Leere herrschte, die Tische kahl geräumt und die letzten Gläser poliert waren, zog es nun unsere Schar hinaus in die Nacht, um etwas zu erleben.
    * * *
    Die Urlaubszeit steht bevor und meine Familie zieht es in die Türkei. Wir wollen Sonne und klares Wasser, schöne Strände und etwas Kultur. Also geht es nach Kleinasien, wo die alten Griechen an der Ägäisküste noch ordentlich was zum Entdecken und Besichtigen hinterlassen haben.
    Doch bevor wir in das Land am Bosporus aufbrechen können, habe ich noch ein organisatorisches Problem zu klären.
    Wenn wir zwei Wochen lang unseren Briefkasten wegen Abwesenheit nicht selbst leeren können, müssen wir jemand anderen finden, der das für uns erledigt. Das allein ist nicht das Problem. Nette Nachbarn oder Verwandte hätte ich sicher für diesen kleinen Dienst gewinnen können. Allein die

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