STASIRATTE
plaudert. Beim Hauptamtlichen, dessen Anstellung nicht immer zu verheimlichen war, wusste man aber, woran man war, und konnte sich zurückhalten. So arbeitete meine Mutter mit einer Frau zusammen, deren Mann ein Hauptamtlicher war. Alle wussten es und hielten sich zurück in ihrer und erst recht in seiner Nähe. Wenn es im Kolleginnenkreis etwas zu Meckern gab über die Zustände im Land, vergewisserten sie sich, ob die Ehefrau des Hauptamtlichen auch außer Hörweite war.
Ein IM, ein Inoffizieller oder Informeller Mitarbeiter aber konnte jedermann sein, sogar ein Freund, der Lebenspartner oder ein Familienmitglied.
Wann hatte ich eigentlich das erste Mal darüber nachgedacht, wer unter Umständen meine damals oftmals unbedachten Worte weitertragen konnte? Wann war ich zum ersten Mal einem Hauptamtlichen begegnet, wenn auch nur indirekt?
Viele Antworten liegen im Spreehotel.
* * *
Gerry hatte mich nach dem ausführlichen Rundgang durch das Hotel bis in das Hinterland des großen Saals begleitet. Es war Vormittag und nur ein paar kleinere Veranstaltungen waren dort zu versorgen. Er führte mich an einen großen Tisch, der gleich vorn im Office stand, zu zwei jungen Frauen. Gerry ging auf sie zu und stellte mich vor. Christine und Janette sa-hen mich neugierig, aber freundlich an. Da Gerry sich um eine der Veranstaltungen kümmern musste, übernahm Christine mich und das Vorzeigen des Saalbereichs.
Wir gingen durch das lang gestreckte, hell geflieste Office auf eine Edelstahltür zu, die Christine „Schleuse“ nannte. Als wir nah genug herangetreten waren, öffnete sich Sesam ohne unser Zutun. Wir gelangten in einen schmalen Durchgang und zwei Meter weiter öffnete sich vor uns eine weitere Tür. Ich begriff die Bezeichnung „Schleuse“.
Kurz darauf standen wir in dem hohen fensterlosen Raum, der mit seinen schwarzen Holzwänden und dem dunkelroten Teppichboden gigantisch wirkte. Die Farben und eine dimmbare Beleuchtung aus Hunderten von Glühlampen gaben dem Ganzen eine ruhige und feierliche Stimmung. Ein leises Rauschen der Klimaanlage war zu hören. Christine sah mich an: „Toll, oder?“ Ich nickte und sie erklärte mir die diversenMöglichkeiten der Gestaltung und Unterteilung des riesigen Saals in mehrere kleinere Räume durch in die Wände eingelassene Schiebetüren. Es gab auch eine Bühne, vor die nach Belieben eine Holzparkettfläche zum Schwingen des Tanzbeins ausgelegt werden konnte.
Christine und ich brauchten schon einige Minuten, um den gigantischen Raum längs und diagonal zu durchwandern. In der Mitte hielt sie inne und zeigte mir die Fenster hoch oben in der schmalen Wand gegenüber der Bühne. „Dort ist die Tontechnik untergebracht“, sagte sie mit dem rollendem R ihrer Thüringer Heimat. Ich staunte schon wieder. Tontechnik, überlegte ich. „Wie im Fernsehen oder Kino?“ Sie nickte und erzählte von den vielen Veranstaltungen, bei denen es ein Unterhaltungsprogramm mit Musik gäbe, wofür eben eine Tontechnik da sein musste.
„Wir arbeiten dann hier und da vorn singt jemand?“, fragte ich und versuchte mir die Situation vorzustellen. „Ja, singt oder tanzt. Die Künstler kannst du dann vorher sehen, sie machen sich fertig in der Garderobe und warten dann hinten im Office auf ihren Auftritt.“ Spannend, dachte ich. „Wer denn so?“, fragte ich weiter, wobei mir zugleich einfiel, dass ich gar nicht viele DDR-Künstler kannte, weil ich mich dank des im Berliner Umlands empfangbaren West-Fernsehens nie groß dafür interessiert hatte. Nur die ganz Großen, wie Frank Schöbel oder Veronika Fischer, oder einige erfolgreiche Rockbands, wie Karat, City oder die Puhdys, kannte ich schon, doch ich konnte mir kaum vorstellen, dass die hier auftraten. So war es dann auch. Christine nannte mir einige Namen und ich schüttelte bloß mit dem Kopf und musste gestehen, dass ich keine Ahnung hatte von den Sängern und Tänzern der zweiten und dritten Reihe.
Wir gingen quer auf die andere Längsseite des Saals zu. Dort gab es Türen, die sich weit öffnen ließen und in ein großzügiges Foyer führten, durch dessen Fensterfront man überdie Spree zum Dom und zur Museumsinsel sehen konnte. Zwei breite Treppen aus poliertem Sandstein mit Messinghandläufen führten von dort ins untere Foyer, wo sich die Garderoben, Telefonzellen und Toiletten befanden.
Ich staunte über die Menge der Telefonzellen und dass sie alle funktionierten. Wir hatten keine Telefone im Wohnheim und nur wenige von uns
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