STASIRATTE
Couchtisch und in einer Zimmerecke gab es ein Waschbecken für die schnelle Hygiene.
Durch emsiges Hin- und Herrücken versuchten wir, besonders in den „weiblichen Etagen“, etwas Individualität in die Räume zu bringen. Das Haus war etagenweise für Frauen und Männer unterteilt. In der Mitte der langen Flure gab es Sanitärräume sowie ein Fernsehzimmer und eine Küchenzeile.
Cora, die aus Sachsen stammte, und ich bewohnten eines der Zimmer gemeinsam. Wir hatten uns bei der Arbeit kennengelernt und sehr bald angefreundet. Sobald es sich organisieren ließ, zogen wir zusammen und ließen uns so oft wie möglich gemeinsam zum Dienst eintragen.
Auch unsere Freizeit verbrachten wir nun gemeinsam. Ein Schwerpunkt unserer Unternehmungen waren die Bars der anderen Hotels in Ostberlin. Das war die Welt, die wir für exotisch hielten. Da es uns verwehrt war, selbst in andere Länder außerhalb der Warschauer- Pakt-Staaten zu reisen, gingen wir an die Orte, wo das Ausland zu uns kam.
In Grüppchen marschierten wir bevorzugt in die Hallenbar des Hotels Unter den Linden an der Friedrichstraße. Meist saßen wir kaum, als von irgendwoher Drinks für uns bestellt wurden. Das war natürlich unser Plan und es war aufregend, besonders für Landeier wie mich. Die jungen Männer, die dort aufmerksam auf uns reagierten, waren zumeist kleine Botschaftsangestellte, vorwiegend aus arabischen Ländern, der Türkei oder aus Jugoslawien. Auf dieser Seite Berlins waren sie noch interessant und wurden nicht als lästig empfunden. Ihr Geld und ihre Möglichkeiten waren hier gefragt. Und wir waren eine leichte Beute. Mit nicht zu viel hemmender Tugend, großer Unerfahrenheit und Lust auf das Leben mute-ten sich einige von uns gelegentlich zu schnell zu viele Cocktails zu. Das Ergebnis waren zwielichtige Abenteuer.
Meine erste Erfahrung dieser Art machte ich mit einem großen, dunkelhaarigen, gut aussehenden jungen Mann, der sich als Antonio vorstellte und als Angestellter der italienischen Botschaft ausgab. Er spendierte mir einen Drink und ich bat ihn, sich zu uns zu setzen. Meine Kolleginnen kicherten ein bisschen, aber schließlich versuchten wir es mit einer kleinen Unterhaltung. Ich genoss es, dass er sich bei der großen Konkurrenz für mich entschieden hatte, wenn auch nur vorübergehend. Die Verständigung versuchten wir in holprigem Englisch, aber eine Konversation erwies sich bald als zweitrangig. Er bewohnte ein kleines Appartement in der Nähe der Linden, in das er mich prompt einlud, um die Völkerverständigung auf anderer Ebene voranzubringen. Da auch ein Mädchen vom Lande gewisse Prinzipien hat, ließ ich bei unseren darauffolgenden Verabredungen ein paar Versuche ins Leere gehen, bevor ich mich entschied, seine Wohnung näher kennenzulernen. Natürlich hatte ich mich inzwischen verliebt und hatte das starke Bedürfnis nach Nähe. Dieses Bedürfnis teilte er und wir befriedigten es gemeinsam. Von Natur aus neugierig, warf ich einmal beim Verlassen des Badezimmers einen Blick auf seine herumliegenden Papiere und war perplex: Der liebe Antonio hieß Suleiman und war Türke. Aber ich war nicht kleinlich. Wir trafen uns noch ein paar Mal, doch verlor ich bald das Interesse. Nach ungefähr vier Wochen hörte ich von den anderen, dass er mit einem neuen Mädchen gesehen worden war. Ich fand es nicht weiter schlimm.
Die Monate im Saal vergingen schnell. Nach Dienstschluss begann unser Nachtleben in den Bars der Umgebung. War jedoch kein Reinkommen mehr, feierten wir weiter im Wohnheim in unseren Zimmern. Es gab zu dieser Zeit nur wenige von uns, die schon feste Beziehungen hatten. Die meisten suchten und experimentierten auf dem Weg zur ganz großen Liebe oder zu neuen Erfahrungen.
Gänzlich neu war mir die Liebe zum eigenen Geschlecht, die in unserer Umgebung häufig anzutreffen war und die ich neugierig beobachtete. Da es wohl so war, dass sich Homosexualität in der Gastronomie gehäuft zeigte, brachte mich dies auf die Idee zu einem Selbstversuch.
Es war einer jener Arbeitstage, der mit einem Besuch der Bar im Roten Rathaus abgerundet werden sollte, was nicht frei von Hürden war.
Als Erstes musste es geschafft werden, den Türsteher zu beeindrucken. Da diese nach unserer und deren Auffassung im weitesten Sinne auch Gastronomen waren, stellten sie für unseren Einlass kein größeres Problem dar. Falls man sich nicht sowieso schon kannte, zog man elegant sein Kellnerportemonnaie aus der Tasche, öffnete es
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