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STASIRATTE

STASIRATTE

Titel: STASIRATTE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Döhring
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Befürchtung, was diese dann eventuell aus dem Kasten zögen, bereitet mir Ungemach. Im letzten halben Jahr habe ich noch keinen Monat auf meine Stasigrußkarte verzichten müssen. Daher nehme ich nicht an, dass Gerry die Sommermonate aussparen wird. Es sei denn, er ist selbst auf Reisen, was einen Kartengruß aber prinzipiell nicht unmöglich macht.
    Nun will ich nicht gerade während meines Jahresurlaubs in Abwesenheit für mein Outing sorgen und erkundige mich bei der Post nach Alternativen. Da gibt es zum Beispiel die Möglichkeit, die Post für einen gewissen Zeitraum zu lagern und den Zustellungstermin der gesammelten Sendungen anzugeben. So erhalte ich nach Rückkehr aus dem Urlaub alles auf einmal und niemand muss täglich bei uns vorbeischauen, die Werbung wegschmeißen und den Schock verarbeiten, wenn ihm eine meiner Kartengrüße in die Hände fällt. Ich entschließe mich für diese Variante und fahre mit meiner Familie beruhigt in die Türkei.
    Nach zwei Wochen auf den ausgetretenen Pfaden der alten Griechen, zwei bis drei Kilo Gewichtszunahme dank der ausgezeichneten Hotelküche, zwei ausgelesenen Büchern und unzähligen Sonnenstunden fliegen wir erholt und mit vergrößerter Allgemeinbildung wieder in Richtung Heimat.
    Am ersten Arbeitstag nach unserer Ankunft trifft wie erwartet die gesammelte Postsendung ein. Ich nehme den großen gelben Umschlag entgegen und lege ihn auf den Küchentisch. Da unsere zwei Wochen Urlaub sowohl im Juli wie auch im August stattfanden, konnten es ein oder zwei Karten von Gerry sein. Ich bin gespannt, reiße den Umschlag auf und kippe seinen gesamten Inhalt auf den Tisch. Instinktiv suchen meine Augen etwas grell Gelbes oder leuchtend Rotes, zwei Farbstreifen, die wir heutzutage für gewöhnlich neben einem weiteren schwarzen an hohen Masten hängen sehen können, nur ohne Werkzeug in der Mitte.
    Auf den ersten Blick gibt es zwar Gelb und auch Rot, aber nicht in der engen Gemeinschaft, wie ich es erwarte. Ich wühle ein bisschen zwischen den Briefen und Zeitschriften, aber nichts Bedenkliches taucht auf. Wie, wir haben bereits August und ich habe keine Julikarte bekommen? Fast werde ich etwas sauer, schon wegen des rausgeschmissenen Geldes für den Lagerauftrag. Ich überlege. Gut, ein halbes Jahr hat er durchgehalten und nun scheint er es sattzuhaben, immer die gleiche Mitteilung loszuwerden. Mir reicht es ja auch. Längst. Wahrscheinlich ist Gerry ebenfalls in den Urlaub gefahren und hat nun einen Schlussstrich unter die Vergangenheit gezogen, denke und hoffe ich.
    Ich denke und hoffe vergebens, denn fristgerecht zum 31. August kommt doch noch Gerrys „Sommergruß“ , in dem er geschickt zwei Monate zusammenfasst. So kann er auch ohne große Abkehr von seiner Gewohnheit, mich mit Karten zu versorgen, seinen Urlaub genießen.
    Es wird Spätsommer und noch einmal richtig heiß. Wir warten in der stickigen Büroluft sehnlichst auf den Abend, an dem es sich aber nur leicht abkühlt.
    Nach dem Abendessen sitzen wir auf der Terrasse, legen die Beine hoch und entspannen uns vom Tag. Während Mike noch etwas liest, genieße ich den Anblick des Gartens, der nun mit üppigem Grün und Spätsommerstauden in satten Farbtönen prasst. Die Pflanzen in den Kästen auf der Terrasse sind ineinandergewuchert und hängen ausladend mit ihren Trieben über die Ränder.
    Ich lehne mich entspannt zurück und denke an meinen ersten Sommer in Berlin.
    * * *
    Die Eingewöhnungszeit im Hotel und im Arbeiterwohnheim hatte ich geschafft, als die Temperatur die 30 Grad Celsius erreichte.
    Das Wohnheim, ebenfalls von den Schweden errichtet, tanzte aufgrund seiner Architektur und Farbe ein bisschen aus der Reihe der anderen Plattenbauten an einer großen Kreuzung in Berlin-Friedrichshain.
    Der Lärm zweier vierspuriger Straßen verursachte bei mir, die ich das Wohnen im Grünen gewohnt war, einen vorübergehenden Kulturschock. Lange kann es aber nicht gedauert haben, bis ich in der Lage war, auch bestens bei offenem Fenster zu schlafen. Die jugendliche Unbeschwertheit, verbunden mit anstrengender Arbeit und strapaziösem Ausgehverhalten, ließ mich meist bleischwer ins Bett fallen. Das beständige Rauschen der Autos und das regelmäßige Rumpeln der Straßenbahnen polterten meine Kollegen und mich in den Schlaf.
    Wir lebten immer zu zweit in einem Zimmer. Diese waren klein, einheitlich möbliert und bestanden aus ziemlich vielSchrank aus hellem Holz und orangebraunen Sofas. In der Mitte stand ein

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