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STASIRATTE

STASIRATTE

Titel: STASIRATTE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Döhring
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hatten und die ich unzählige Male in meiner Fantasie betreten hatte, begann.
    Wir rollten gemächlich dahin und ich starrte gebannt nach draußen. Ich hörte, wie Rita hin und wieder einen Straßennamen nannte oder Sätze sagte wie: „Jetzt sind wir ..., jetzt sind wir gleich …, Schöneberg, ...“ Aber das rauschte an mir vorüber wie die Außenwelt. Ich schaute und träumte mich in die Häuser, die Lichter und den Glanz der vorüberziehenden nächtlichen Großstadt hinein. Große Leuchtbuchstaben an den Fassaden, Schriftzüge auf den Dächern, Schaufenster mit bunter Reklame glitten an uns vorbei, immer mehr Autos waren unterwegs, je näher wir der Innenstadt kamen. Restaurants, Bars und Kneipen konkurrierten in verschiedenen Farben und Dekors.
    „Sieh mal dort“, Klaus nickte mit dem Kopf in Fahrtrichtung. Ich folgte seinem Blick und sah am Horizont diegoldgelb angestrahlte Siegessäule aufragen. Es war ein grandioses Bild. Inmitten des dunklen Tiergartens erhob sie sich aus meiner Postkartenerinnerung in die Wirklichkeit. Klaus umrundete sie für mich zweimal in dem riesigen Kreisverkehr. Es war wunderbar und mir wurde schwindlig.
    Ich war vom Dunklen ins Helle gereist.
    Anschließend fuhren wir nach Charlottenburg durch breite belebte Straßen. Im Erdgeschoss jedes Hauses gab es Geschäfte oder Restaurants oder wenigstens irgendeinen Schriftzug, der Kunden anlocken sollte. „Gleich sind wir am Ku’damm“, verkündete Rita mit feierlicher Betonung. Und da ich still war wie ein kleines Mädchen, das am Weihnachtsabend in das festliche Zimmer mit dem Weihnachtsbaum hereingelassen wird, streichelte sie mir die Schulter und fragte: „Geht’s dir auch gut?“
    Ich seufzte ein wenig und nickte. „Ja, aber wisst ihr, das ist doch Wahnsinn hier, das alles ... echt ... also wirklich.“ Sie verstanden mich.
    Die beiden tauschten einen Blick und Klaus schlug vor: „Wir sollten jetzt mal ein Stück zu Fuß gehen, dann schnappst du gleich ein bisschen Berliner Luft.“
    „Kann ich jeden Tag“, konterte ich und wir lachten.
    „Die Luft ist wohl wirklich dieselbe“, sagte Rita mir zugewandt.
    „Es sei denn, du machst einen Spaziergang am Heizkraftwerk Rummelsburg“, fügte ich hinzu, „da kannst du in Spitzenzeiten ordentlich Schwefel einatmen.“ Die rücksichtslose Umweltverschmutzung mittels veralteter Technik machte auch vor der Hauptstadt der DDR nicht halt.
    Klaus parkte das Auto auf dem Mittelstreifen des Kurfürstendamms und ging zur Parkuhr. Ich folgte ihm neugierig. Schließlich hatte ich mir vorgenommen, nichts, aber auch gar nichts zu verpassen. Auch keine Parkuhr. „Was ist?“,fragte er mich belustigt, als ich die Parkuhr eingehend musterte.
    „Kenn ich nicht.“
    „Na, das ist ein Vorteil“, meinte er. „Hier nehmen sie einem ordentlich Geld ab. Wir haben in dieser Stadt nämlich nur begrenzt Platz. Haha, im wahrsten Sinne des Wortes.“ Er amüsierte sich über sein gelungenes Wortspiel und wir gingen über die Fahrspuren auf den Bürgersteig herüber.
    „Lasst uns bis zum Olivaer Platz und dann auf der anderen Seite zurückgehen“, schlug Rita vor. Dann nahmen sie mich in ihre Mitte und ich widmete mich dem berühmten Westberliner Boulevard. Alle paar Meter blieb ich stehen und betrachtete die angestrahlten Fassaden der Gründerzeithäuser, die die Bombennächte des Weltkriegs überstanden hatten oder schon längst wieder in alter Pracht auferstanden waren.
    Große Platanen, deren Äste leise im Wind schaukelten, säumten die Straße und auf dem breiten Fußweg standen alle hundert Meter Glasschaukästen, die noch zusätzlich auf die Waren in den Geschäften aufmerksam machten. Nachdem wir einige dieser Vitrinen passiert hatten, fragte ich mich, ob es Zufall war, dass immer in deren Nähe eine junge Frau stand, elegant bis freizügig gekleidet und stark geschminkt. Ich nahm mir vor, die Sache weiter zu beobachten. „Hier kommen die richtig teuren Boutiquen“, Rita machte eine ausholende Bewegung. „Das ist leider nichts für uns.“ Für mich schon gar nicht, dachte ich, wollte mir aber schon genau ansehen, was ich mir alles nicht leisen konnte.
    Denn die DDR hatte mich mittellos verreisen lassen. Seit Beginn der Reiseerleichterungen hatte sich der Devisenumtausch, den die Staatsbank der DDR den Westreisenden gewährte, immer mehr vermindert. Wurde meine Mutter anlässlich der Krankenpflege meiner Oma noch mit 70 DM für zehn Tage ausgestattet, die sie eins zu eins umtauschen

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