Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
STASIRATTE

STASIRATTE

Titel: STASIRATTE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Döhring
Vom Netzwerk:
hatte, auch verziehen und schwieg Paul gegenüber, wofür ich ihm äußerst dankbar war. Es gab so etwas wie eine stille Übereinkunft zwischen uns, die Affäre als nicht mehr erwähnenswert anzusehen.
    Für den Abend meiner Abreise verabredeten wir, dass mich beide zum Grenzübergang Oberbaumbrücke, an der die Berliner Mauer Friedrichshain und Kreuzberg trennte, begleiten würden.
    Um dreiundzwanzig Uhr traf Gerry in meiner Wohnung ein und wir öffneten in einer aufgekratzt erwartungsvollen Stimmung eine Flasche Rotkäppchensekt. Meine Tasche standfertig gepackt im Korridor. Ich war reisefertig und ziemlich nervös. Um halb zwölf brachen wir auf. Draußen war es dunkel, ein paar Sterne waren am klaren Himmel zu sehen. Es wehte eine warme Brise zwischen den Häusern, deren Fenster jetzt fast alle dunkel waren. Außer uns war kein Mensch auf der Straße. Wir sprachen leise miteinander, um die Ruhe der Umgebung nicht zu stören.
    Von meiner Wohnung bis zum Grenzübergang an der Spree war es gut eine Viertelstunde Fußmarsch. Wir gingen eine Straße entlang, die sich Allee nannte, diesen Namen aber im Grunde gar nicht verdiente. Denn ihr fehlten die Bäume. Diese waren auf der einen Seite dank des deutschen Wahnsinns gegen eine graue Betonmauer mit Stacheldraht ausgetauscht worden. Damit sich kein Irrtum einstellte, war es verboten, auf jener Seite der Straße entlangzulaufen. Alle paar Meter standen dort Schilder mit der Aufschrift „Grenzgebiet“. Obwohl sie eine wichtige Nord-Süd-Verbindung war, fuhr kaum ein Auto um diese Zeit. Hinter der Mauer beleuchtete grelles Licht der Bogenlampen den Fluss.
    Die Szenerie hatte etwas Grausiges und Erregendes zugleich. In Kürze würde ich mich loslösen aus dieser dunklen Starre hier und in etwas hinübergehen, das gerade deshalb so reizvoll war, weil ich nur ungefähre Vorstellungen hatte.
    Der Sommerwind ließ meine Haare und meinen Blusenkragen flattern. Wir wurden ganz still, es gab nichts mehr zu reden. Die einzigen Geräusche waren unsere eigenen Schritte. An der Einmündung einer weiteren großen Straße standen wir endlich an der Brücke, die mich hinübertragen würde. Beton, Drahtgitter und dazwischen eine Metalltür, hinter der eine schwache Beleuchtung zu sehen war. Gemeinsam gingen wir wortlos darauf zu. Wir sahen uns um in dieser scheinbaren Einsamkeit und waren uns doch sicher, schon eine Weile beobachtet worden zu sein.
    Es wurde Mitternacht. „Tja dann“, ich umarmte erst Paul und dann Gerry und öffnete voller Spannung die Metalltür. Ein Blick zurück und die Tür schloss sich wieder hinter mir. Ein paar Meter vor mir sah ich auf der Brücke eine Baracke mit offen stehender Tür. Es drang Licht heraus und ein Kontrollraum wurde in dem Verschlag sichtbar. Drinnen stand ein Grenzer und erwartete mich schon. Ich ging auf ihn zu und grüßte. Ohne zu Lächeln erwiderte er den Gruß und forderte: „Ihre Papiere bitte.“ Ich hatte sie natürlich längst bereitgehalten und drückte sie ihm in die Hand. Er bat mich in den kleinen kahlen Raum und schloss die Tür. Gelangweilt blätterte er in meinem Pass und meine Aufregung stieg wieder. „Bitte öffnen Sie Ihre Reisetasche“, sagte er. Ich kam der Aufforderung nach und er warf einen flüchtigen Blick auf meine Kleidung und die Kulturtasche. „In Ordnung. Sie können gehen“, sagte er.
    Ich sah ihn verblüfft und sehr erleichtert an. Wie, das war schon alles? Ich konnte es kaum glauben. Schließlich wollte ich in den Westen und ich war deutlich unter sechzig. Natürlich war mein Visum in Ordnung, aber warum war er nicht misstrauisch oder schnüffelte intensiver in meinen Sachen?
    Wie bizarr. Es lief mir eiskalt über den Rücken, als mir auffiel, wie dressiert ich war. Auf Schikane eingestellt, schien sie mir fast zu fehlen. Unter dem Einfluss des Adrenalins hatte ich zudem fast vergessen, dass Banknoten an meinem Körper klebten.
    Der Grenzer zeigte mir den Seitenausgang, ich nahm meine Tasche und meine Papiere und ging hinaus in die Nacht. Bevor ich mich aber in Bewegung setzte, nahm ich mir vor, jeden meiner nun folgenden Schritte niemals wieder zu vergessen. Nach einem Blick zurück in meine Heimat ging ich langsam und andächtig in die andere Richtung.
    Die Wasseroberfläche reflektierte das Licht der Uferbeleuchtung. Das Wasser war leicht bewegt und zog tanzendeBänder aus den aufgefangenen Lichtern. Der Sekt in mir und die höchst inspirierende Umgebung schienen mich anzuheben, fast schwebte ich

Weitere Kostenlose Bücher