Staub Im Paradies
italienische Passanten Pate gestanden. Das 1964 auf dem Platz eingeweihte Denkmal sei nach einem Modell gestaltet worden, da sich Geiser bereits 1957 umgebracht habe. Ein begnadeter Künstler, der mit der Welt tragischerweise nicht zurechtgekommen war. Einer von so vielen.
Gret hatte durchaus Sympathien für schwermütige Künstler. Allerdings drängte es sie nach etlichen Negativerfahrungen nicht mehr danach, mit einem von ihnen zusammenleben zu wollen. Kunstinteresse musste sein. Aber auch eine gewisse Verwurzelung in der Realität und gleichzeitig Distanz zu sich selbst.
Felix entsprach diesen Anforderungen wenigstens auf den ersten Blick. Und Interesse zeigte er auch. Er hatte sich gestern extra nochmals gemeldet, um ihr mitzuteilen, wohin er mit ihr zum Essen wollte. Ins LaSalle. Zweifellos eine gute Wahl, musste Gret zugeben: marktfrische Leckereien in einem trendigen Glaswürfel mitten in der großen Halle, die auch Kulturinstitutionen wie den Schiffbau, eine Filiale des Schauspielhauses, und den renommierten Jazzklub Moods beherbergte.
Soweit sie wusste, war das Lokal ziemlich teuer. Sie deutete das als gutes Zeichen und freute sich mehr auf das Essen, als sie eigentlich wollte. Ärgerlich war nur, dass sie so schlecht geschlafen hatte. Sicher sah sie alles andere als blütenfrisch aus. Immerhin dauerte es noch ein paar Stunden bis zum Abend, denn es war erst halb neun morgens. Und da sie sich vorgenommen hatte, es heute einmal ruhig angehen zu lassen, standen die Chancen nicht schlecht, dass sie sich von dieser verkorksten Nacht noch ein wenig erholen würde.
Das ganze Ermittlungsteam steckte in einer Sackgasse: keine Spur von dem Geld, keinerlei Fortschritte bei der Suche nach dem Tatort, null Hinweise, wo sich der erstochene Rexon vor seiner Ermordung aufgehalten hatte.
Der leichte Nieselregen, noch auf dem Weg zum Helvetiaplatz ihr ungeliebter Begleiter, hatte inzwischen aufgehört und kraftlosen Sonnenstrahlen Platz gemacht. Trotzdem hielt sich der Menschenandrang auf dem Markt im Rahmen, wie immer in den Wintermonaten. Die Markthändler hinter ihren Verkaufsständen voller Wintergemüse, Wurstwaren, Käse und Blumen trugen dicke Daunenjacken und zum Teil sogar Handschuhe. Gret testete ein paar Sorten Käse und erstand schließlich zweihundertfünfzig Gramm Canestrato, ein lange haltbares Schafmilchprodukt aus Italien, das ihr besonders gut mundete.
Sie dachte an Fred Staub, ihren in Sri Lanka weilenden Exchef, den sie so sehr mochte. Zwar war der Mann weder sonderlich freundlich noch ausgeglichen noch übermäßig interessiert an aktuellem Zeitgeschehen. Dafür war er jedoch grundsolide, in jeder Hinsicht unbestechlich und hundertprozentig loyal gegenüber allen, die er mochte.
Ihr gegenüber zum Beispiel. Dass sie ihm gefiel, darüber bestand kein Zweifel. Zu gewissen Zeiten hatte sie ernsthaft bedauert, dass er verheiratet war. Und er hatte damit gehadert, dass er siebzehn Jahre älter war als sie.
Gret hatte ihm dringend abgeraten, den Kommandantenposten zu übernehmen. Ihm fehlte dazu ihrer Meinung nach mehr oder weniger alles: Opportunismus, diplomatisches Geschick, Spaß an Sitzungen, Fähigkeit zum Kadavergehorsam. Was natürlich alles für ihn sprach. Bis vor Kurzem war er für sie jedenfalls der spannendste Mann gewesen, den sie in dieser für sie so fremden Stadt kennengelernt hatte.
Gret konsultierte ihre Uhr: zehn vor neun. Dann war es jetzt zwanzig nach eins in Sri Lanka. Vermutlich saß Fred gerade beim Essen – er ließ den Lunch nur sehr selten und überaus ungern ausfallen. Sie überlegte sich, ob sie im nahen Cafe Casablanca einen Tee einnehmen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Vielleicht brauchte man sie im Büro doch.
Gemütlich streifte sie nochmals über den Markt. Auch verschiedene Tamilen boten Köstlichkeiten feil – zumindest meinte Gret, ein paar der Gesichter zu kennen. Aber ganz sicher war sie sich nicht.
Ihr eigener Gedanke, dass jemand, der gar kein Tamile war, den Verdacht bewusst auf diese Volksgruppe lenken wollte, hatte ihr die ganze Nacht über keine Ruhe gelassen. Den Schleier über der Frage, wie um Himmels willen denn ein Nichttamile von der bevorstehenden Geldübergabe gewusst haben sollte, hatte sie aber nicht lüften können. Sie hatte von der Operation ja auch nur zufällig erfahren – durch eine mutige junge Frau nach einem stundenlangen Verhör.
Der vor ihr und Mario geflüchtete Lathan dämmerte immer noch im Koma vor sich hin, der
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