Staub Im Paradies
Versucht er zu testen, wie viel wir bereits wissen?
Ich atme ein paarmal tief durch und frage dann: »Darf ich diese Schätze mal aus der Nähe betrachten?«
Müller schließt den Glaskasten, ohne zu zögern, auf und bedeutet mir mit einer großzügigen Geste, ich möge mich bedienen.
Gerade noch rechtzeitig realisiere ich, dass es unklug wäre, sofort nach dem G22 zu greifen, und betrachte mir daher zuerst einmal ein paar der historischeren Schießeisen.
»Alle einsatzbereit«, murmle ich.
»Wie gesagt, mein Frank ist geradezu ein kleiner Waffenfetischist«, lacht Müller. »Ein seltsames Hobby, das finde ich auch. Aber Sie wissen ja, wie das ist mit Kindern, man kann ihnen einfach nichts abschlagen.«
Inzwischen bin ich zu dem G22 vorgerückt. Ich hebe es aus der Verankerung und rieche unauffällig daran. Mehr als den Geruch frischen Fettes kann ich nicht feststellen. Wüsste ich nicht von den wahnsinnigen Militärs sowie von den Löwen im Garten, würde ich das Teil beschlagnahmen und ballistisch untersuchen lassen.
»Ein seltenes Gewehr«, sage ich in unverfänglichem Ton. »Wie haben Sie denn das beschaffen können?«
»Sie kennen das Fabrikat?«, wundert sich Müller und greift sich nachdenklich in die roten Härchen an seinem Kinn.
»Die Kollegen von der deutschen GSG 9 verwenden es«, erkläre ich leidenschaftslos. »Ich persönlich hatte nur mal auf einer Fortbildung damit zu tun.«
»GSG 9?«, gibt er sich naiv.
Ich stelle die Waffe kommentarlos zurück in die Vitrine und begutachte anstandshalber noch unser Schweizer Sturmgewehr 90. Sofort werden schlechte Erinnerungen in mir wach. Denn wie fast jeder Schweizer habe ich dieses schwere, klobige Monstrum wochen- und monatelang kreuz und quer durch das Land geschleppt. Im Rahmen idiotischer Märsche und überflüssiger Übungen, wie sie unsere Milizarmee so sehr liebt. Bis vor Kurzem musste dort jedermann mitmachen, der nicht offensichtlich behindert war. Ich habe mit diesem Gewehr sinnlos Munition verschossen, es hundert Mal geputzt und tausend Mal verflucht – genau wie den ganzen anderen Militärklimbim auch.
Vidyas helle Stimme hallt zu uns in die Kammer herunter. Müller entschuldigt sich und lässt uns allein mit seinen Waffen zurück.
Ich überlege mir ernsthaft, ob wir ihm nicht besser sofort folgen sollten – diese Katakomben sind mir unheimlich. Aber Verasinghe greift sofort nach dem G22. Wie ich riecht er aufmerksam daran und runzelt dann seine Stirn.
»Vor Kurzem neu eingefettet«, hält er fest und gibt es an seinem Kollegen weiter. Dann schnüffelt er an ein paar anderen Gewehren herum und meint in süffisantem Ton: »Nicht neu eingefettet!«
»Seht ihr irgendwo Munition?«, erkundige ich mich. »Dann könnten wir uns im Zweifelsfall wenigstens verteidigen.«
»Gute Idee«, findet Verasinghe.
Gemeinsam durchsuchen wir die Kammer, finden aber nur weitere gut gepflegte, aber ungeladene Schusswaffen.
»Das war zu befürchten«, klage ich.
»Zu viele Leute wissen, wo wir hinwollten, deshalb wird uns nichts passieren«, versucht mich Verasinghe zu beruhigen. »Allerdings«, gibt er nach kurzem Zögern zu, »General Premadasas Einfluss reicht weit. Er ist durchaus in der Lage, einem das Leben schwer zu machen, wenn er will.«
»Was haltet ihr von der ganzen Scheiße?«, frage ich meine sri-lankischen Kollegen. »Habt ihr überhaupt mitbekommen, was mir Müller alles erzählt hat?«
»Im großen Ganzen schon«, meint Verasinghe. »Zumindest dass die junge Frau diese Vidya ist, um die sich in Zürich gerade alles dreht.«
»Es kann doch kein Zufall sein, dass wir die ausgerechnet hier finden«, überlege ich, der Verzweiflung nah. »Gemeinsam mit einem Gewehr der Marke, mit der Rainer Schütz erschossen wurde.«
»Vielleicht hängen die Morde zusammen«, äußert sich Verasinghes Kollege überraschend.
»Ja, aber das ist doch einfach nicht möglich!«, versuche ich standhaft, mögliche Realitäten zu ignorieren.
Plötzlich fahre ich entsetzt zusammen. Auf dem Gang sind wie aus dem Nichts Schritte zu hören. Schwere Schritte von mehreren Leuten.
Ich sehe meine Kollegen an und spüre, wie mich die Angst überkommt.
Gret freut sich
Gret schlenderte über den Markt am Helvetiaplatz und betrachtete das große Arbeiterdenkmal. Eine in Stein gehauene Proletarierfamilie, gesichtslos und gerade deshalb so nachhaltig prägnant. Wie ihr Michael einmal erzählt hatte, hatten dem schwermütigen Schöpfer des Werks, Karl Geiser,
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