Staub zu Staub
sie es war, die von innen strahlte.
„Piesch bringt den Siesch.“ Mit beiden Händen räumte Helga den Stich ab.
Der Fernseher gab Wortfetzen von sich, als die Mandarinen-Dame durch die Kanäle zappte und auf einmal ergossen sich Geigenklänge in den Raum. Auf dem Bildschirm erschien Max. Er stand auf einer unendlich weiten, silbern schimmern-den Schneefläche, die Geige zwischen Schulter und Kinn geklemmt, und strich sanft mit dem Bogen über die Saiten. Darüber erstreckte sich das schwarze Firma-ment mit Wogen aus einem grüngelben Schein, der sich langsam nach unten senkte und immer mehr erkannte Mirjam darin Frauengestalten, die sich im Takt der Musik bogen.
‚Northern Lights’, verkündete die Überschrift in einer Ecke, ‚Maximilian Helm-gren’.
Alle Augenpaare wandten sich vom Bildschirm ab und musterten das Original. Max hob die Hand mit den Karten, als wolle er sich dahinter verstecken.
„Das bin ich nicht. Der Kerl sieht mir nur ähnlich.“ Er schaute zu Mirjam und wechselte das Thema. „Du hast doch gleich Feierabend. Könnten wir vielleicht reden? Hättest du Lust auf einen Kaffee? Natürlich nur, wenn du Zeit hast.“
Vielleicht waren es seine Augen, die etwas Vertrautes in ihr weckten, vielleicht auch der Anblick, wie er im Schneidersitz mit einem Lolli im Mund vor dem Tisch saß. Aus einem Impuls heraus, dem sie ohne nachzudenken folgte, trat sie näher und verwuschelte sein Haar. „In Ordnung. Ich bin gleich wieder da.“ Noch mitten in der Bewegung holte die Musik aus dem Fernseher sie ein, machte ihr seine Stellung in dieser Welt bewusst.
Weißt du warum ein Star – Star heißt?
Sie zog ihre Hand zurück. Röte flammte in ihren Wangen auf, sie drehte sich um und floh aus dem Zimmer.
Sie brauchte kaum zehn Minuten, um sich umzuziehen. Hastig legte sie ihren grünen Schal um die Schultern, befingerte ihr Haar, das sie zu einem Pferde-schwanz gebunden hatte und flatterte zurück zum Gemeinschaftsraum.
Die nächsten fünf Minuten verbrachte Mirjam damit, Max aus den Fängen seiner neuen Verehrer zu reißen. Heinz ließ ihn nicht los, ohne ihm das Versprechen auf ein Wiedersehen abzuringen, Helga schwärmte von Klassik, und die Mandarinen-Dame beobachtete entzückt, wie er eine Serviette für sie signierte, auf der noch weiße Schalenfasern klebten.
Erst in der Halle blieb das Gewusel endgültig zurück.
„Du magst es nicht, wenn Menschen dich erkennen?“, fragte Mirjam.
Sie wollte nach der Türklinke greifen, doch Max kam ihr zuvor und öffnete ihr die Tür. „Die meisten Menschen verstellen sich. Entweder schauen sie zu mir auf, als bringe jedes Wort von mir eine Offenbarung, oder sie versuchen, mich gekünstelt normal zu behandeln. Dann habe ich das Gefühl, als leide ich an einer schweren Behinderung, die sie tapfer zu ignorieren versuchen. Bist du mit dem Auto hier?“
„Mein VW hat gestern den Geist aufgegeben.“ Sie blieb auf dem Treppenabsatz stehen. Der kalte Wind blies ihr entgegen, der Ahorn vor dem Eingang raschelte mit den Blättern und schabte mit den Zweigen gegen die Wand des Pflegeheimes, als wolle er den Putz abkratzen. „Worüber möchtest du denn reden? Und woher wusstest du, wo du mich findest?“
„Es war nicht schwer herauszufinden, wo ein Ulrich Preschke das Zeitliche gesegnet hat. Er ist auch der Grund, weshalb ich dich aufsuche. Ihr habt in mir etwas aufgewühlt, von dem ich dachte, es längst hinter mir gelassen zu haben.“
Nur wegen Preschke also. Was hatte sie erwartet? Ein Aschenputtel-Märchen? Sie ging die Stufen hinab, hörte seine Schritte nicht und drehte sich um. Der Wind schubste sie in den Rücken, sie wickelte sich enger in ihren Schal und streckte Max ihr Kinn entgegen. „Was ist?“ Seine schwarzen Augen musterten sie, als sähen sie Mirjam zum ersten Mal. Dieser Blick gefiel ihr nicht, darin erloschen die Funken, das Leben, und nur Schwärze stieg auf und spülte Leid aus den Tiefen. Auf einmal kam ihr der Wind kälter vor und der Ahorn kratzte nicht mehr nur an dem Putz, sondern auch an ihrem Inneren. „Max?“, flüsterte sie. „Ist alles in Ordnung?“
„Entschuldige.“ Er öffnete einen Knopf seines Hemdes und klammerte sich an den Kreuzanhänger. „Es ist nur – du erinnerst mich an jemanden.“
„An wen?“
Max senkte den Blick. „Vergiss es. Es ist schon sehr lange her. Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist.“ Sein Gesicht wirkte blasser und die Schatten um seine Augen dunkler als zuvor.
Er steuerte
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