Staub zu Staub
und ihr feuchter Atem hauchte um sein Ohrläppchen. „Und ich weiß, wer du wirklich bist.“
„Das weiß doch jeder.“ Sein Puls beschleunigte sich, während ihre Finger an dem Gürtel um seine Tunika nestelten. Er warf den Kopf in den Nacken und schnappte nach Luft. Aber nicht einmal die Nacht konnte sein Gemüt kühlen.
Ihre Augen musterten sein Gesicht. „Weiß dieser jeder auch, wie kalt die Ewig-keit ist?“ Er wich zurück, doch sie kam ihm nach. „Oder wie einsam dein Licht ist?“ Sie machte noch einen Schritt und er wieder einen rückwärts und dachte dabei, wenn es so weiter geht, würden sie auf diese Weise bestimmt nach Srinagar gelangen. „Weiß dieser jeder auch, wie leer es hier drin ist?“
Sie legte ihre Hand auf seine Brust. Für einen Moment stockte ihm der Atem. Blut pochte in seinen Schläfen.
„Woher? Woher weißt du das?“
Ihre Hand glitt über seinen Bauch, streifte seinen Oberschenkel. Die Berührung jagte Schweiß auf seine Haut. Er nahm nur die Hände wahr, die ihn streichelten und die Welt um ihn herum ins Schwanken brachten, als wäre ihm der Wein vom Abendmahl plötzlich zu Kopf gestiegen.
Auf einmal löste sie sich von ihm und streifte die Stola zu Boden. Ihre nackte Haut schimmerte ihm Mondlicht.
„Nur ich allein kann dich erlösen.“ Sie streckte die Hand nach ihm aus. „Aber die Hälfte des Weges ist deiner.“
Er ließ seine Finger sich mit den ihren verflechten. Wie sehr wünschte er sich, sie zu Boden zu reißen und sie zu spüren, so nah, damit ihr Geruch zu seinem würde. „Ich würde fallen für dich.“
„Eine Seele für zwei. Auf ewig vereint.“ Sie lächelte und brachte Flammen in ihm zum Lodern, die sie beide zu verschlingen drohten.
Er vernahm ein Zischeln. Die Grashalme neigten sich, als würde sich ein Bach den Weg zu ihren Füßen bahnen und er erblickte eine Schlange. Das Tier hob den ovalen Kopf und beobachtete ihn aus glänzenden Augen. Die gespaltene Zunge huschte vor, erzitterte und glitt zurück. Das Wesen setzte sich wieder in Bewegung, schlängelte um Marias Knöchel und wand sich das Bein empor. Die Schuppen, schwarz-braun gefleckt, glänzten im Mondlicht.
Maria lächelte. Sie nahm die Schlange nicht wahr und er begriff, für wen das Zeichen bestimmt war. Er schreckte zurück.
„Jeschua?“
Die Schlange erreichte ihren Schritt, wand sich um ihre Taille. Die gespaltene Zunge tastete in den Bauchnabel, dann immer höher, zwischen ihren Busen, über ihre Brustwarzen und weiter zur Schulter, bis der armdicke Rumpf sich um ihren Hals legte.
„Nein.“ Er taumelte gegen einen Baumstamm. „Gib mich auf.“ Etwas würgte ihn, als würde die Schlange seinen Hals erdrücken – das Elend seines Daseins.
„Jeschua …“ Ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Du kannst frei sein.“
„Nein. Geh nach Hause, Maria von Magdala.“ Sein Herz pochte und mit ihm sein Flehen. ‚Bleib bei mir. Nimm mich! Wenn du mich willst, wenn dein Wille stark genug ist, dann werde ich dein sein!’
Wie niedergestochen sackte sie ins Gras und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Ihre Schultern bebten.
„Ich hasse dich, Jeschua. Was hast du aus mir gemacht? Was hast du mir angetan?“ Weinend krallte sie sich in ihre Palla und versuchte, ihren nackten Körper zu verdecken. „Ich hasse dich!“
Er lief fort. Die Zweige zerrten an seiner Tunika und peitschten ihn. Erst in der entferntesten Ecke des Gartens fiel er auf die Knie. Tränen brannten in seinen Augen. Mit zitternden Händen fuhr er sich über die Stirn und sah Schweiß und Blut auf den Fingerkuppen.
Auf einmal hörte er wieder die Menge brüllen, die ihn aus dem Tagtraum riss. Er spürte die Hitze der Mittagssonne und fand sich auf der Empore wieder, vor Menschen, die ihm den Tod wünschten.
„Zum Passafest“, sprach der Statthalter weiter, ohne auf die Unruhe zu achten, „pflege ich den Brauch, einen freizugeben.“ Er gab ein Zeichen. Aus einem Gang führten die Soldaten einen Gefangenen herbei. Sein langes schwarzes Haar hing ihm strähnig vor dem Gesicht, der Bart war verfilzt. „Welchen wollt ihr? Jeschua, von dem gesagt wird, er sei der Christus, oder Jeschua Barabbas, den Anführer der Räuber und der Mörder?“
„Barabbas! Gib uns Barabbas!“, brüllten die Menschen.
Nur die Frau mit den teefarbenen Augen stand reglos da, den Kopf erhoben. Ohne zu blinzeln starrte sie geradeaus und eine Brise umspielte ihre dunklen Locken. So gern hätte er ihr das Haar aus dem Gesicht
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