Staub zu Staub
Gespenst, wie eine Erscheinung, die er sich herbeigewünscht hatte.
„Jeschua?“ Sie bog ein paar Baumzweige zur Seite und kam näher. Er schwieg, um sie seinen Namen noch einmal rufen zu hören. „Betest du, Menschensohn?“
Er räusperte sich. In ihrer Gegenwart, wenn sie allein waren, konnte er kaum ein Wort herausbringen. Seltsam, wo er sonst vor Hunderten sprach. Sie neigte den Kopf und zupfte an ihren Haarspitzen. Am liebsten hätte er auch an irgendetwas herumgezupft. Seine Finger ergriffen das Ende des Bandes, das seine Tunika gürtete.
„Ich denke nach.“ Endlich gelang es ihm, den Kloß in seinem Hals hinunter-zuschlucken. „Aber wenn du da bist, muss ich damit aufhören.“
Sie lachte leise. Der Saum ihrer Kleidung verhedderte sich an einem Gras-büschel, als wolle dieser sie nicht an ihn herantreten lassen.
„Wo sind Petrus und die anderen, du Denker?“ Die grüne Palla rutschte ihr von der Schulter und sie schob das Tuch wieder hoch.
Er nickte in Richtung des Ölkelters. „Sie schlafen. Es war ein schwerer Tag und es wird eine lange Nacht sein.“ Sein Blick glitt an ihr entlang, verweilte an ihrer Brust, rutschte tiefer und blieb an ihren Hüften ruhen. Gleichzeitig ertappte er sich dabei und schaute wieder auf. Zum Glück verhüllte die Nacht seine Röte. „Ich habe dich beim Abendmahl vermisst.“
Der Leichtmut wich aus ihrem Gesicht. Sie strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. „In Jerusalem bist du nicht mehr sicher. Die Hohepriester und ganz besonders Kaiphas hetzten das Volk gegen dich auf.“ Sie riss einen Zweig mit drei Blättern und einer Olive ab, trennte die Frucht vom Stiel und rollte sie zwischen Daumen und Zeigefinger. „In einer Stunde geht ein Gefährt nach Jericho. Für zwei Stater nimmt der Mann uns mit. Über den Jordan gelangen wir dann nach Peräa und wandern weiter nach Osten, bis Srinagar.“ Ihre rechte Augenbraue zuckte hoch. Sie schnippte die Olive zur Seite, fuhr sich mit dem Zweig über Nase und Lippen und machte einen Schritt auf ihn zu. Jetzt stand sie dicht vor ihm, vielleicht nur eine halbe Elle entfernt, so dass er ihre Wärme spüren und das Leuchten in ihren Augen sehen konnte. „Warst du schon in Kaschmir? Ich habe gehört, sie haben Gulab Jamun, diese Milchbällchen, so eklig süß. Du wirst sie mögen.“
„Das ist ein weiter Weg bis dahin, genau genommen …“
Sie schwenkte mit dem Zweig. „Genau will ich das gar nicht wissen und schon gar nicht bis zur letzten Elle und Fingerbreite.“ Sie zögerte. Ihre Stimme klang wieder ernst, als sie sprach: „Dort wird uns keiner finden können. Nicht einmal Kaiphas.“
Der Wind hatte sich gedreht, wehte von Norden her und brachte den Geruch morschen Holzes heran. Die Baumkronen raschelten lauter, als würden sie pro-testieren. Was sie nicht mussten, denn er kannte seine Pflicht.
„Ich kann nicht fliehen.“ Sein Hals fühlte sich rau an. „Ich bin nicht frei.“ Ihr Blick durchdrang ihn, heiß wie Glut.
„Es ist unsere letzte Nacht?“ Der Olivenzweig trudelte zu Boden. Der Wind fing ihn auf und rollte ihn über das Gras zum Sandweg.
Er verfolgte den Zweig mit dem Blick. „Ja.“
Sie senkte den Kopf und wandte sich ab.
„Maria.“ Er umschloss ihre Schultern mit einem stummen ‚Geh nicht!’ und vergrub sein Gesicht in ihrer Mähne. Ihr Haar roch nach Staub und Schweiß, mit einem Hauch des besonderen Duftes ihres Körpers. Nur ihrer. Er hätte die Note aus tausend anderen Gerüchen erkannt. Und er konnte sich nicht satt riechen. Sie strich mit der Wange über seinen Handrücken, löste sich aus seiner Umarmung und ließ die Palla zu Boden rascheln. Eine ihrer Schultern entblößte sich, als das Tuch ihre Haut frei gab. Sie streifte ihre Stola von der anderen Schulter, hielt das Kleid mit den Händen an ihrem Busen fest.
„Es ist unsere letzte Nacht“, flüsterte sie, noch bevor die Frage seinen Lippen entweichen konnte. „Und es wird unsere Erste sein. So will ich es.“
Die Stola schmiegte sich an sie und betonte jede Wölbung ihrer Figur.
„Maria …“
„Scht.“ Ihre Hand bedeckte seinen Mund, während sie mit der anderen noch ihre Kleidung hielt. Die weichen Fingerkuppen glitten über seine Nase, die Wangen. Er schloss die Augen. Ihre Finger wanderten über seine Lider, glitten zu den Ohren und den Hals herunter. „Du willst es doch auch.“ Ihr Unterleib drückte sich gegen seinen. „Ich kann es spüren, du Menschensohn.“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen
Weitere Kostenlose Bücher