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Staub zu Staub

Staub zu Staub

Titel: Staub zu Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olga A. Krouk
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gestreift, doch der Strick, der seine Gelenke fesselte, war nicht das Einzige, was ihn daran hinderte. Die Frau zog das Tuch enger zusammen. Sie würde weinen. Wegen ihm. Aber nicht um ihn.
    Wieder wandte sich der Präfekt der Meute zu. „Was soll ich mit dem machen, von dem gesagt wird, er sei der Christus?“, sprach er mit Nachdruck.
    „Kreuzige ihn!“, schrie die Horde. „Lass ihn kreuzigen!“
    „Aber warum? Was hat er denn Böses getan?“
    „Kreuzige ihn!“
    Der Statthalter blickte über den Platz, senkte den Kopf und machte ein Zeichen. Ein Sklave brachte eine Schale und einen Krug, goss das Wasser in das Gefäß. Der Präfekt wusch sich die Hände, schüttelte die Wassertropfen ab und erhob die Arme.
    „Seht ihr? Ich bin unschuldig an seinem Blut!“
    „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!“, johlte die Menge.
    Der Präfekt schloss die Augen.
    „Ihr sagt es.“
    Wach auf!
    Max fuhr aus dem Traum hoch. Immer wieder schnappte er nach Luft, um nicht zu ersticken. Doch der Sauerstoff schien seine Lunge wie Glut zu verätzen. Jede Faser seines Körpers brannte, als würde er gleich in Flammen aufgehen und zu Staub zerfallen. Sein Körper bebte.
    Was hatte er vergessen?
    Er dachte an den Arzt mit den gutmütigen Augen, der versucht hatte, ihm in kindgerechter Sprache den Begriff ‚Dissoziative Amnesie’ zu erklären. Kurz später hatte er es selbst im Handbuch psychischer Störungen nachgeschlagen. Disso-ziative Amnesie – wenn sich jemand an belastende oder traumatische Lebens-ereignisse nicht erinnern konnte.
    An was wollte er sich nicht erinnern?
    Das Zittern verstärkte sich, als verkrampfe sich jeder Muskel seines Körpers. Max biss die Zähne zusammen. Der Schmerz zerfleischte ihn.
    Zucker. Er brauchte Zucker. Dringend.
    Er tastete nach der Lampe, die auf dem Boden neben seinem Futon stand, und warf sie um. Krämpfe zerrten an seinen Muskeln. Er bekam kaum noch Luft. Der ganze Raum schien sich zu entfernen und in der Unendlichkeit zu verschwinden.
    Herr, wie lange willst du mich so ganz vergessen? Wie lange verbirgst du dein Antlitz vor mir? Wie lange soll ich sorgen in meiner Seele und mich ängstigen in meinem Herzen täglich?
    Die Worte des Psalms trösteten ihn nicht. Er wusste, dass der Herr da war und ihm antwortete. Nur konnte er die Antwort nicht hören. Seine Haut brannte und die Schmerzen zerrissen sein Inneres. Er wünschte sich, bewusstlos zu werden.

Kapitel 7
    Mirjam trat aus dem Zimmer von Frau Born, als im Korridor die Stimme der Oberschwester gellte.
    „Ach! Du wirst übrigens abgeholt. Ich habe ihn erst mal in den Gemein-schaftsraum geschickt.“
    „Was?“ Mirjam blickte zurück und sah nur eine weiß gekleidete Figur in einer der Türen verschwinden.
    Ob die Worte ihr gegolten hatten? Es fühlte sich wie Geburtstag an, wenn sie die verpackten Geschenke schüttelte und zu erraten versuchte, was drin war. Sie steckte ihre Hände in die Taschen des Kittels und schlenderte den Korridor entlang. Das Zimmer begrüßte sie mit kanariengelben Tapeten, an die sie sich wohl nie gewöhnen würde, und mit dem Geruch von Orangen. Auf der Couch saßen zwei Bewohnerinnen und schauten sich eine Gerichtsshow an. Eine der Frauen döste, den Kopf zur Schulter ihrer Nachbarin geneigt, die konzentriert eine Mandarine schälte.
    Am anderen Ende spielten drei Leute Karten an einem Tischchen. Helga in ihrer rosafarbenen Angorajacke, Heinz mit den verwuschelten Haaren und ein junger Mann im dunkelblauen Anzug, der sich statt im Sessel auf den Boden im Schnei-dersitz platziert hatte.
    „Max?“ Mirjam traute ihren Augen nicht, ob wegen seiner bloßen Anwesenheit hier, oder dem Lolli in seinem Mund. Der Farbstoff hatte seine Lippen rot gefärbt, sein Gesicht dagegen wirkte auffallend blass. „Was tust du hier?“
    „Hejsan Mirjam. Im Moment?“ Er legte eine Karte auf den Tisch. „Verliere ich beim Skat. Aber eigentlich warte ich auf dich und Kristin.“
    „Kristin hat heute Nachtschicht.“ Es klang fast entschuldigend. Mirjam knetete ihre Hände – seine Gegenwart machte sie hibbelig. Und was genau sie jetzt tun sollte, wusste sie auch nicht.
    „Übrigens, ich bin nicht tollwütig.“ Er zwinkerte ihr zu. „Du kannst ruhig näher kommen. Sollte ich dich tatsächlich beißen, wozu ich meistens nur bei Vollmond neige, ist das halb so wild.“
    Er lächelte und dieses Lächeln brachte seine Augen, sein Gesicht, sein ganzes Wesen zum Leuchten, bis Mirjam begriff, dass nicht er, sondern

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