Staub zu Staub
schnellte vor. „Nein, geh nicht. Ich muss mich nur anziehen. Wartest du bitte kurz? Ich brauche nicht lange.“
„Okay“, hauchte sie.
„Wirklich okay?“ Max forschte in ihren Augen, als befürchtete er, sie würde jede Sekunde davonlaufen.
„Wirklich okay.“
„Schön.“ Gleich nachdem er hinter einer der Türen verschwunden war, sprach er weiter: „Ich dachte nicht, dass du hierher kommst. Eigentlich habe ich überhaupt nicht erwartet, dich noch einmal zu sehen. Oh, übrigens: Möchtest du einen Tee? Kekse habe ich auch. Drömmar – das sind welche aus Schweden.“
Mirjam schmunzelte. „Du brauchst mich nicht mit Keksen zu bestechen, ich laufe wirklich nicht weg. Lass dir ruhig Zeit.“ Am Ende des Korridors fand sie die Küche, in schwarz und karminrot, die an ein Kochstudio aus dem Fernsehen erinnerte. „Du willst bestimmt einen Kaffee, oder? Mit viel, viel Zucker.“
„Das wäre allerliebst.“
Sie stellte den Wasserkocher an und schaltete den Kaffeevollautomaten ein. Das Gerät brummte und klackte, bis es nach einer kurzen Überlegung ein rotes Lämpchen anschaltete. Na toll. Sie hörte Max in die Küche kommen und meinte: „Den Kaffee musst du dir selbst machen. Rot blinkende Lämpchen an Elektrogeräten überfordern mich grundsätzlich.“
Er trat hinter sie. „Das haben wir gleich.“ Er öffnete die Front des Automaten und Mirjam hatte das Gefühl, als würde er sie umarmen. Max zog einen Behälter heraus. „Igitt, ich war wohl zu lange nicht zu Hause.“
Die zusammengepressten Kaffeereste wurden von einer weißen Schicht überzogen. Mirjam beobachtete, wie er die Brocken in den Mülleimer schüttete und den Behälter auswusch. Sie setzte sich auf die Arbeitsplatte. „Du scheinst überden Horror der letzten Tage hinweggekommen zu sein“, fing sie an. Sie musste endlich wissen, was in der Gasse wirklich passiert war.
Max unterbrach das Abwaschen und stützte sich am Waschbeckenrand ab. „Soll ich dich meinem Möchtegernpsychiater vorstellen? Schöbel ist sein Name. Dass ich das Recht zu schweigen hatte, passte ihm gar nicht in den Kram.“ Er versuchte zu lächeln, aber es misslang. „Mirjam, du bist eine ungewöhnliche Frau. Sag mir ehrlich, hast du keine Angst vor mir? Könnte ich, würde ich vor mir selbst weg-laufen.“
„Was genau ist denn passiert? Wenn ich darüber nachdenke, bin ich mir sicher, reif für die Klapsmühle zu sein.“ Sie rieb sich die Oberarme, obwohl die Kälte sie nicht von außen umhüllte.
Er zögerte. „Offiziell ist der Mann an Lupus Erythematodes gestorben. Deshalb wurde ich entlassen.“
„An was?“
„Es ist eine Autoimmunkrankheit. Mit Schmetterlingserythmen, Überempfind-lichkeit gegen Sonnenlicht, Gelenkschwellungen und anderen interessanten Symp-tomen. Zum Herzversagen führte fortgeschrittene Pericarditis. Es ist eine Art Herzentzündung. Aber das …“
„… will ich nicht so genau wissen, das stimmt.“ Die Erinnerung an den Sterbenden rief Übelkeit in ihr hervor. „Es war bloß eine Krankheit?“
„Im Schnellverlauf. Eine halbe Stunde vorher war er in bester Gesundheit vor einem Imbissstand gesehen worden.“ Er steckte den Behälter zurück in die Maschine, stellte eine Tasse darunter und drückte auf einen Knopf. Der Automat surrte. „Aber ich denke, uns beiden ist klar, dass da nichts
einfach so
kam.“
„Woher wusstest du, dass ich Hilfe brauchte?“
„Du hast gerufen. Ich habe es gehört.“ Er vermied es, sie direkt anzuschauen.
Der Wasserkocher brodelte und stieß Dampf aus, der am Hängeschrank kondensierte. Mirjam fuhr mit dem Finger über die Feuchtigkeitsschicht, malte einen traurigen Smiley auf die karminrote Tür.
„Ich wollte, dass du ihn tötest.“
„Ich weiß.“ Aus einem Schrank holte er einen Teebeutel, goss das Wasser ein und reichte ihr die Tasse. „Dagegen konnte ich nichts tun. Gerade das macht mir Angst.“
„Habe ich … habe ich dich dazu gezwungen?“
„Rousseau hat einmal gesagt: Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern, dass er nicht tun muss, was er nicht will.“ Er senkte die Stimme. „Nach diesem Vorfall bin ich mir nicht mehr sicher, ob das mit der Freiheit auch auf mich zutrifft.“
„Dein Anfall danach – kommt das öfter vor?“
„Nur wenn ich mich lange auf Sachen konzentriere, die für normale Menschen nicht da sind. Ich vertraue dir etwas an, okay? Aber es muss zwischen uns bleiben.“
„Das wird es.“
„Damals im
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