Staub zu Staub
vorbei.“
„Sandra, warte.“ Er lenkte den Wagen in die Seitenstraße und parkte unter der Kastanie vor Friedmanns Haus. „Leg nicht auf, bitte. Du kannst doch nicht einfach so verschwinden. Du kannst mir Lisa nicht wegnehmen.“
„Ach, auf einmal ist sie dir wichtig?“
„Du tust mir Unrecht, Sandra.“
„Unrecht? Darf ich dich daran erinnern, wie du sie allein auf dem Winterdom gelassen hast? Mitten in diesem Chaos aus Karussells, Buden und Menschenmengen, weil du zu irgendeinem Friedmann musstest?“
„Es war ein Notfall und ich war kaum eine halbe Stunde weg.“ Wenn sie nur wüsste, wofür Friedmann und er gekämpft hatten!
„Oder wie …“
Er spielte seinen letzten Trumpf aus, stimmte leise ihr gemeinsames Lied ein: „
Deine Hände verraten mir, dass ich dir nicht fremd bin
.“
Sie schluchzte. „Das bringt nichts. Es ist vorbei. Ruf hier nicht mehr an.“
Im Hintergrund ertönte Lisas dünnes Stimmchen: „Ist das Papa? Papa! Pa…“
Aufgelegt.
Tilse schmetterte das Handy gegen die Windschutzscheibe und riss den Schnuller vom Rückspiegel. Nein! So einfach würde er nicht aufgeben. Er würde sie beide zurückbekommen, sein Dornröschen und diese blöde Kuh von Ehefrau.
Tilse stieg aus. Nach wenigen Schritten musste er zum Auto zurückkehren, er hatte die Mappe auf dem Beifahrersitz vergessen. Während er zum Haus marschierte, bewunderte er ein Motorrad vor der Garage. Die schwarze Lackierung glänzte in der Sonne. Die Maschine wirkte befremdlich in der Blütenpracht des Gartens. Wer hier wohl die Beete harkte? Mehrfach drückte Tilse auf die Klingel und verscheuchte mit der Mappe eine Schuster-Mücke, die vom Überdach zu ihm herunterflatterte.
Walters öffnete die Tür, in schwarzen Motorradhosen, einen Apfel in der Hand. Tilse betrachtete den Burschen von Kopf bis Fuß. „Was machen Sie denn hier?“ Er wollte noch ‚Müssen Sie nicht Ihren Auftrag erfüllen?’ hinzufügen, als Friedmann im Flur erschien.
„Ach, Tilse!“ Der Spiritus Rektor richtete die Brille auf seiner Nase und winkte ihn herein. „Das muss wohl Gedankenübertragung gewesen sein. Ich wollte Sie gerade anrufen.“ Friedmann trug einen ausgeblichenen Pullover und eine an den Knien ausgebeulte Jogginghose. In solch heruntergekommenen Klamotten hatte der alte Mann ihn noch nie empfangen.
„Wie schön.“ Tilse schob sich an Walters vorbei. „Eigentlich wollte ich nur die Polizeiberichte bringen.“ Er hob die Mappe. „Sie wurden uns heute zugestellt. Außerdem gibt es ein kleines Problem mit unserem Fernfahrer.“
Friedmann deutete auf eine Tür. „Bitte in die Küche. Im Wohnzimmer herrscht Chaos.“
Chaos? Niemand, der Friedmann gut kannte, konnte sich vorstellen, wie der alte Mann in einem aufgeräumten Zimmer produktiv arbeiten könnte. Zugegeben, außer dem Wohn- und Arbeitszimmer konnte Tilse bisher keine weiteren Räumlichkeiten bestaunen. Überhaupt war er nicht oft in diesem Haus, vier, höchstens fünf Mal. Meistens empfing Friedmann seine Schäfchen im Kirchenbüro.
Während sein Oberhaupt Walters einließ und die Küchentür zuzog, setzte sich Tilse an den Tisch. Entgegen seiner Erwartungen wurde der Raum nicht von Zetteln und Büchern zugemüllt, mit denen der Wind, der durch das geöffnete Fenster hereinwehte, sein Spielchen treiben konnte. An der Wand unter den Schränken hingen Kochlöffel in Reih und Glied, ein Gewürzregal war über dem Ceranfeld angebracht. Gläser mit bunten Nudeln schmückten die Arbeitsplatte. Tilse schob eine Holzschale mit Orangen, Weintrauben und Bananen über den Tisch. Ihm gegenüber ließ sich Walters nieder, hustete und verdeckte den Mund mit dem Apfel.
Friedmann schaltete den Wasserkocher ein. „Dann berichten Sie alles der Reihe nach. Was hat die Polizei für uns?“„Sie mussten Jonathan laufen lassen. Zumal da sein Anwalt auftauchte, der vermutlich sogar Jack the Ripper aus dem Knast geholt hätte.“ Er legte die Mappe hin. „Hier sind die Kopien aller Berichte und Untersuchungen. Es ist aber nicht viel.“ Tilse verschwieg, wie er den Verbündeten gebeten hatte, ihm die DNS- und Blutproben des Geigers zu besorgen, die inzwischen unterwegs zu den interessierten Forschern waren.
Friedmann blätterte in der Akte. „Schade. Ich habe gehofft, Sie können ihn länger festhalten und uns damit etwas Zeit verschaffen. Was ist mit dem Fernfahrer?“
„Nun. Wer hätte gedacht, dass er Gott mehr liebt, als seine eigene Mutter.“ Tilses Blick schweifte zu
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