Staub zu Staub
nahm das Instrument und den Bogen heraus.
„Ich soll mir also etwas aussuchen. Na gut.“ Er blickte zu Mirjam und sie glaubte, in seinen Augen Funken zu entdecken, die sie nicht zu deuten wagte. „Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann, und worüber zu schweigen unmöglich ist, hat einmal Victor Hugo geschrieben.“
In aufgeregter Erwartung beobachtete sie, wie er die Geige zwischen Schulter und Kinn klemmte, seine Finger sich um den Griff legten. Was mochte er ihr jetzt erzählen, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich war? Er hob den Bogen.
Der erste Ton umwölbte Mirjam und brachte etwas in ihr zum Vibrieren. Die Klänge sanken auf sie herab, sanft wie Rosenblätter, und bald wurde sie ein Teil davon. Sie schwebte mit ihnen dahin, ließ sich fallen, vom warmen Wind auffangen und herumwirbeln. Wohin mochte dieser Strom aus Samt sie bringen?
Irgendwo in der Wohnung schellte das Telefon. Die Geige verstummte. Kalt und leer fühlte sich der Raum ohne die Musik an.
„Was war das?“
Max senkte den Bogen. „Ich würde sagen, das ist mein Telefon.“
„Nein, ich meine: Was hast du gespielt?“
„Ach, das sollte eigentlich der Blumenwalzer aus dem Nussknacker werden.“ Das Gebimmel brach ab. „Na, endlich. Dann versuchen wir es von vorn.“ Er schloss die Lider und setzte den Bogen an die Saiten, als das Telefon erneut loslegte. Max seufzte theatralisch. „Mensch, so kann ich nicht arbeiten.“
Er legte die Geige ins Etui. Mirjam folgte ihm ins Wohnzimmer, wo er den Hörer abnahm.
„Helmgren. Hej Åke. Mir würde es glänzend gehen, wenn du nicht gerade jetzt angerufen hättest.“ Er schaute zu Mirjam und flüsterte: „Sorry, mein Agent.“ Und wieder zum Anrufer: „Du, ich habe gerade Besuch …wie bitte?“ Er lauschte, seine Stirn legte sich in Falten. „Sie haben das Konzert wegen irgendeines Artikels abgesagt?“
In Mirjam fror alles ein. Bitte nicht, flehte sie, lass ihn das nicht erfahren!
Er hörte konzentriert zu, während sein Gesichtsausdruck sich weiter verfinsterte. „Wer erzählt denn so etwas über mich?“ Gleich darauf schweifte sein Blick zu Mirjam und sie bekam die Kälte seiner Augen zu spüren. „Ja, jag känna en Mirjam. Tack, att du ta hand om dig.“
Das Schwedische fiel zwischen ihnen wie der eiserne Vorhang.
Das Gespräch dauerte weitere fünf Minuten, ohne dass Mirjam etwas verstehen konnte. Es rutschten nur wenige Wörter heraus, die deutschen ähnelten, mit denen sie dennoch nichts anfangen konnte. Endlich legte Max auf. Sein Schweigen verschnürte einer Schlinge ähnlich ihren Hals.
„Es tut mir Leid. Ich wollte nicht, dass es so kommt.“ Sie wollte seine Hand fassen, doch er wich zurück. Wieder diese Stille. „Max, sag doch etwas!“
Er wandte sich dem Fenster zu, obwohl die weinroten Gardinen ihm den Ausblick versperrten. „Ich befürchte, ich habe bereits zu viel gesagt. Åke hatte Recht, als er einmal meinte: Wenn du den Menschen unbedingt etwas mitteilen willst, nimm deine Geige dafür.“
„Die Reporter haben alles verdreht. So habe ich es ihnen nicht erzählt.“
„Verstehe“, sagte er zu den Vorhängen. „Jetzt hast du aber viel mehr zu erzählen. Besonders über meinen psychischen Zustand.“
In ihrer Nase kribbelte es. „Wegen morgen …“, wisperte sie, doch er unterbrach sie mit einer raschen Geste.
„Keine Sorge. Ich halte mein Wort.“
„Max, bitte!“
Er unterhielt sich mit den Gardinen, und sie sich mit seinem Rücken.
„Es ist besser, wenn du jetzt gehst.“
Als sie seine Wohnung verließ, fiel die Tür hinter ihr hart ins Schloss. Mirjam bemühte sich, den Kloß in ihrem Hals hinunterzuschlucken und lauschte den Geigenklängen, die zu ihr durchdrangen. Schrill, wütend, schnell. Die Töne bohrten sich in sie, sezierten ihre Gefühle wie Skalpelle und schnitten das Herz aus ihrer Brust.
Die Dame mit dem Pudel kam ins Treppenhaus. Neben Max’ Wohnung horchte sie auf. „Ach du meine Güte. Sabre Dance. Dann komme ich lieber morgen wegen der Freikarte vorbei.“
Das Hündchen zitterte im Takt der Musik. Die Säbelklänge verschonten nicht einmal ihn.
Kapitel 15
„Ja bitte?“
Tilse presste das Handy fester ans Ohr, als er Sandras Stimme hörte. Endlich! Für einen Augenblick vergaß er sich, blickte gen Himmel und formte seine Lippen zu einem stummen ‚Danke!’.
„Hallo? Wer ist dran?“
„S-sandra …“
„Was willst du? Ich habe gesagt, du sollst nicht anrufen. Es ist
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