Staub zu Staub
Sierichstraße verlief schweigend. Der graue Himmel schüttete sein Nass auf die Stadt. Mirjam starrte zum Fenster hinaus und verfolgte die Regentropfen, die an der Scheibe herunterglitten. Ihr Magen fühlte sich an, als hätte sie einen Hamster verschluckt, der darin ein Laufrad entdeckt hatte. Der Geruch von dem Brötchen, das Kristin im Auto zu Ende geschmatzt hatte, machte es ihr nicht leichter. Nur mit Mühe hielt sie aufsteigende Übelkeit zurück. Die Unruhe wuchs, während sie immer öfter die modischen Boutiquen an den Straßenrändern registrierte und sich somit seiner Wohnung näherte.
Vor Max’ Haus entdeckte sie zwei herumstreunende Kerle, die verdächtig nach Reportern aussahen. Kristin holte eine Plastiksonnenbrille aus dem Handschuh-fach und drückte ihr das Ding in die Hand. Mirjam setzte es auf, mustertesich im Spiegel. Genau so elegant würde sie mit einer Taucherbrille aussehen. Die angeschwollene Gesichtshälfte stach blaugelb hervor. Sie zog einige Haarsträhnen nach vorn, blickte noch einmal in den Spiegel und stieg aus. Kristin beugte sich über den Beifahrersitz.
„Ich warte hier auf dich. Viel Glück.“
„Okay.“ Mirjam schlug die Tür zu und öffnete sie gleich wieder. „Danke. Das ist wirklich lieb von dir. Du …“
„Geh schon.“
Während sie zum Eingang hastete, erschien auf der Schwelle eine Dame in einem pfirsichfarbenen Kostüm mit einem gestylten Pudel an der Leine. Der Kläffer hüpfte um sie herum und wickelte die Leine um die Knöchel der Frau.
Mirjam schlängelte sich an ihr vorbei und durch die Wolke des blumigen Parfüms ins Treppenhaus. Ihre Schuhsohlen quietschten auf den glänzenden Fliesen. Vor dem Fußabtreter mit der gelben ‚Min hus är min fästning’ - Schrift blieb Mirjam stehen wie vor der Höhle eines Löwen. Sie wünschte, Max würde auf dem Mount Everest wohnen, dann hätte sie noch Zeit gehabt, ihre Gedanken zu ordnen. Vielleicht doch lieber umkehren? Sie nahm die Sonnenbrille ab und wischte mit dem Ärmel die Regentropfen fort. In den Gläsern spiegelte sich ihr Gesicht. Na los! Tu’s einfach! Sie drückte auf die Klingel.
Die Sekunden verstrichen.
Entweder war er nicht da, oder wollte nicht öffnen. In beiden Fällen sollte sie lieber gehen. Stattdessen presste sie ihren Finger gegen die Klingel, bis die Haut sich unter dem Nagel weiß färbte, und starrte auf das Messingschildchen mit seinem verschnörkelten Namen. Gedämpft drang das Gebimmel durch die Tür, bis sie geöffnet wurde. Max stand bar-fuss auf der Schwelle in einer schwarzen Bügelfaltenhose und ohne Hemd, das nasse Haar stand in allen Richtungen ab. In den Händen hielt er ein Badetuch.
„Hejsan Mirjam.“ Seine Stimme klang sanft. „Steht da ‚Beethoven’ auf meinem Türschildchen? Ich bin doch nicht taub. Noch nicht, zumindest.“
Mirjam beobachtete einen Wassertropfen, der ihm den Hals herunterrann. Ihr Blick setzte den Weg des Tropfens fort und musterte jeden Muskel seines nackten Oberkörpers.
Max räusperte sich. „Du machst mich nervös. Habe ich noch irgendwo Schaum?“
„Nein, nein. Ich – äh – ich möchte nur mit dir reden.“
„Dann kannst du mir auch in die Augen schauen. Die befinden sich aber weit oberhalb meines Gürtels.“ Blut schoss ihr in den Kopf. Er grinste und trat zur Seite. „Komm rein. Nur versprich mir, keine weiteren Attentate auf mein Gehör zu machen. Ich habe nämlich keine Berufsunfähigkeitsversicherung.“
Sein Lächeln erwärmte ihr Inneres. Jemand, der sie gleich wegen Rufmordes erwürgen wollte, sah anders aus. Vielleicht wusste er nichts von dem Artikel. Dann sollte er auch nichts davon erfahren. Niemals würde sie dieses Lächeln von seinem Gesicht wischen wollen.
„Seit wann bist du zuhause?“ Sie spielte an den Bügeln der Sonnenbrille. Er nahm Mirjam an die Hand, womit er ihr nervöses Fummeln unterbrach.
„Gestern habe ich meine Schnürsenkel zurückbekommen.“
„Ich habe dich vermisst“, brach es aus ihr heraus. „Ich habe mir schreckliche Sorgen um dich gemacht.“
Max zog seine Hand zurück und die Wärme, die er ihrem Inneren geschenkt hatte, verschwand. Mirjam biss sich auf die Unterlippe. Was fiel ihr überhaupt ein? Er kannte sie kaum. Vielleicht dachte er jetzt, sie wäre so eine wie diese Blondine, die ihn nach dem Konzert überfallen hatte.
„Es … ich … ich denke …“ Sie strich sich eine imaginäre Strähne aus der Stirn. „Ich denke, ich sollte lieber gehen.“
„Nein.“ Seine Hand
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