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Staub zu Staub

Staub zu Staub

Titel: Staub zu Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olga A. Krouk
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Krankenhaus bin ich fast wahnsinnig geworden. Die Menschen liefen um mich herum wie Glühwürmchen. Wenn ich sie länger anschaute, wusste ich Dinge, die ich gar nicht wissen wollte. Zum Beispiel wenn eine Kranken-schwester sich über dich beugt, ‚es wird alles gut’ sagt und ‚der wird diese Nacht niemals überleben’ denkt. Oder wenn Stimmen in deinem Kopf herumschwirren und dich um Hilfe anflehen. Jedes Mal kamen die Anfälle, wenn ich das nicht länger aushalten konnte. Und ich wünschte mir, danach nicht mehr aufzuwachen.“ Er holte eine Zuckerdose aus dem Schrank und schüttete ein Drittel des Inhalts in seine Tasse. Langsam rührte er um. „Ich habe drei Monate in der Kinderpsychia-trie verbracht.“
    Wie gern hätte sie ihn umarmt und getröstet. Stattdessen starrte sie in ihren Tee. „Und dann?“
    „Dann habe ich begriffen: Wenn es weiter so geht, werde ich nie aus der Psychiatrie rauskommen. Ich habe gelernt, das Ganze auszublenden. Mit etwas Übung hörte ich keine Stimmen und sah auch keine Lichter mehr, manchmal nur schwache Echos davon, etwas wie Vorahnungen. Letzte Woche kam der Horror wieder. Irgendetwas hast du in mir zum Ausbruch gebracht. Als du überfallen wurdest … ich habe keine Ahnung, was ich dem Mann in der Gasse angetan habe. Ich schwöre, ich weiß es nicht.“
    Mirjam nahm kleine Schlucke von ihrem Tee. Der Früchtegeschmack streichelte ihren Gaumen. „Du hast bestimmte hebräische Wörter gesagt. Doch hätte mir jemand vorher erzählt, das kann bei einem Mann ein Lupus-was-auch-immer bewirken, hätte ich ihn ausgelacht.“
    Er setzte sich zu ihr auf die Arbeitsplatte. „Ich auch. Es war wie in einem Albraum. Ich weiß genau, was passiert ist, aber ich kann nicht erklären, wie.“
    Mirjam spürte seinen Arm an ihrem. Es tat gut, hier neben ihm zu sitzen. „Bist du sehr gläubig?“
    „Ja.“ Seine Hand fuhr zum Ausschnitt seines Hemdes, doch die Finger tasteten vergeblich nach dem Kreuzanhänger. „Nur kann ich den Herrn nicht mehr hören.“
    Mirjam stellte die Tasse neben sich. „Ich fühle mich ihm auch sehr fern.“ Sie seufzte. „Momentan fühle ich mich irgendwie ohne Halt. Als wäre ich aufgewacht und wüsste nicht, wo ich eigentlich bin. Wer ich bin. Und was ich tun soll.“
    „Wer ich bin, will ich auch herausfinden.“ Er öffnete eine Schranktür und holte einen Karton Kekse. Einen nahm er heraus und bot den Rest Mirjam an. „Weißt du noch? Wir wollten nach Niedersachsen.“
    Sie biss in ein Plätzchen. Es schmeckte süß und würzig. „Du willst dieser Sache nachgehen? Nach all dem, was passiert ist?“
    „Gerade nach all dem. Was auch mit mir los ist, die Antwort liegt irgendwo in der Vergangenheit, an die ich mich nicht erinnern kann. Oder will. Außerdem habe ich es dir ja versprochen. Also, wie wär’s mit morgen? So um fünfzehn Uhr?“
    Mirjam nickte. „Holst du mich ab? Ich wohne zurzeit bei Kristin.“ Sie nannte ihm die Adresse.
    „Ja.“ Er lächelte schwach. „Bevor du noch überfallen wirst und ich wieder jemanden umbringen muss.“
    Sie schwiegen. Mirjam wunderte sich, wie natürlich es sich anfühlte, neben Max auf der Arbeitsplatte zu sitzen und gemeinsam mit ihm Kekse zu knuspern. Sie betrachtete seine langen Finger und erinnerte sich an die Klänge, die diese der Geige entlocken konnten.
    „Max?“ Sie errötete. „Ist es jetzt sehr anmaßend von mir, dich zu bitten, mir etwas auf deiner Ruggieri zu spielen?“
    „Ganz und gar nicht.“ Er rutschte von der Arbeitsplatte, schüttelte die Kekskrümel von seinem Hemd und streckte ihr seine Hand entgegen. „Was willst du denn hören?“
    „Was kannst du denn spielen?“ Sie berührte seine Handfläche und hielt inne, als sie keinen Schnitt von der Messerverletzung ertasten konnte. War die Wunde innerhalb von vier Tagen vollständig verheilt? So schnell gingen bei ihr nicht einmal die Abschürfungen zurück.
    „Im Prinzip alles, was aus einer sinnvollen Notenkombination besteht. Bei Techno, Rap oder Hip-Hop müsste ich allerdings passen.“
    „Dann such dir etwas aus. Ich lasse mich überraschen.“
    Er schmunzelte und führte sie in ein Zimmer. Die Kirschholzregale enthielten Werke von Mozart, Bach und anderen Komponisten. Von den meisten hatte Mirjam noch nie im Leben etwas gehört und einige konnte sie nicht einmal aussprechen. Vor dem Fenster stand ein Notenständer, in der Nähe ein Tisch mit losen Blättern, Bleistiften und einem Geigenkasten. Max öffnete das Futteral und

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