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Staub zu Staub

Staub zu Staub

Titel: Staub zu Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olga A. Krouk
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Propheten geplaudert?“
    „Er hatte die Erschaffung eines Golems erprobt.“
    Tilse prustete vor Lachen. „Haben Sie nicht gesagt, er war weise? Ehrlich, welcher weise Mensch würde tatsächlich daran glauben, ein Wesen aus Ton und Lehm erschaffen zu können?“
    „Das haben bereits mehrere Rabbiner vor ihm versucht. Die bekannteste Legende handelt von Judah Löw aus Prag. Angeblich kann man mit der Kabbala in ein beliebiges Ding Leben einhauchen.“
    „Oh.“ Walters kratzte sich im Wirrwarr seiner Haare. „Das ist ja cool. Als ich klein war, hatte ich ein Plastikpferd, das …“
    Tilse warf dem Burschen einen ungeduldigen Blick zu. „Wir kommen vom Thema ab. Was hatte der Gaon mit Luzzatto zu tun?“
    „Er war einer seiner größten Bewunderer. Mit zwanzig reiste er fünf Jahre lang durch Deutschland und Polen.“ Friedmann nippte an seinem Tee. „Sie erinnern sich noch an das Datum der Schrift? 1745 kehrt der Gaon nach Vilna zurück, wo er sich in sein Zimmer einschließt. Sein Sohn erzählte, der Gaon schliefe nur zwei Stunden am Tag, die restliche Zeit beschäftigte er sich mit dem Studium der Thora. Für seine außergewöhnlichen Leistungen, Erkenntnisse und Weisheit wurde er sogar zum Zaddik erhoben.“
    „Der Mensch ohne Sünde?“
    „Ja, damit ist ein rechtschaffener Mann gemeint, der mehr tut, als verlangt wird.“ Die Kaffeemaschine zischte, das Gluckern erstarb. Friedmann goss Kaffee in die Tasse und stellte sie vor Tilse ab. „Er war überzeugt, dass die Thora alles Wissen des Universums in sich birgt. So schrieb er: ‚
Alles, was war, ist und sein wird, ist in der Thora. Aber nicht nur Prinzipien, sondern sogar die Details jeder Spezies, die winzigsten Kleinigkeiten jedes menschlichen Wesens, jeder Kreatur, jeder Pflanze und jedes Minerals - alle sind im Pentateuch beinhaltet
.’ Und die Naturwissenschaften benutzte er, um diese Geheimnisse aus der Schrift zu entnehmen.“
    „Was hat das alles mit unserem Problem zu tun?“ Er schaute aus dem Fenster. Die grauen Wolken krochen den Himmel zu.
    „Luzzatto war ein Wissenschaftler und nach einigen Quellen hatte er das größtmögliche Wissen erlangt, das ein Sterblicher überhaupt erlangen kann. Ich bin davon überzeugt, er wollte nicht, dass seine Erkenntnisse mit ihm verschwinden. Die Schlussfolgerung ist naheliegend. Er hat dem jungen und eifrigen Elijah den Schlüssel zur Thora gegeben, oder ihm den Weg zur Entschlüsselung gezeigt. Es passt doch zusammen: Die Rückkehr 1745 nach Vilna, das abgeschiedene Leben, die Forschungen in der Thora.“
    Tilse nahm einen Schluck von seinem Kaffee. Die Brühe belegte seine Zunge mit einer bitteren Schicht. Er rümpfte die Nase und schob die Tasse von sich. Friedmann mochte ein außergewöhnlicher Gelehrter sein, aber ein miserabler Kaffeekocher. „Eben nicht.“ Tilse wollte zu den Trauben in der Obstschale greifen, um den bitteren Geschmack loszuwerden, erblickte Walters’ vollgehusteten Apfel und zog die Hand zurück. „Wenn er den Schlüssel hätte, wozu sollte er die Thora studieren, die Methoden für ihre Entschlüsselung entwickeln?“
    „Nun, wenn Sie wissen, wie Sie die Antworten finden, müssen Sie diese trotzdem lesen. Die Erkenntnisse flattern nicht einfach so in Ihren Kopf. Was die Methoden angeht, die der Gaon hinterlassen hat: Es ist zwar nicht die Entschlüsselung, die Luzzatto ihm gegeben hat, aber vielleicht ein Weg für die anderen Menschen, etwas von der Thora-Weisheit zu erlangen.“
    „Diese Ihre Schrift ist also der Hinweis, wo der Schlüssel zu finden ist?“
    „Ich denke schon.“
    „Und? Wo ist er?“
    Friedmann spitzte die Lippen. „Das Problem ist, ich kann die Schrift zwar übersetzen, aber sie ergibt für mich keinen Sinn.“ Er schlürfte den Tee und sah aus dem Fenster. Eine Brise spielte mit den Tüllgardinen, auf das Fensterbrett rieselten die ersten Tropfen des angehenden Regens. „Deshalb muss Jonathan sie bekom-men.“
    Tilse grinste. „In Ordnung. Geben Sie das Papier her, ich muss heute eh zur Post.“
    Friedmann lachte und klopfte ihm auf die Schulter, woraufhin Tilse zurückschreckte. „Genau das liebe ich an Ihnen. Ihren Humor.“ Abrupt stellte das Oberhaupt sein Lachen ein und beobachtete die vorbeischleichenden Wolken. „Ich habe allerdings eine Idee, wie wir Jonathan zur Schrift führen könnten. Dazu brauchen wir den Fernfahrer. Kümmern Sie sich darum, dass er bereit ist, uns zu helfen.“
    „Das wird er.“
    Friedmann erhob sich.

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