Staub zu Staub
„Ausgezeichnet. Dann möchte ich Sie nicht weiter aufhalten.“
Tilse zögerte, aber als sein Oberhaupt eine Geste zur Tür machte, fühlte er sich gezwungen, aufzustehen. „Gut, dann gehe ich jetzt.“ Sein Blick schweifte zu Walters. „Sind Sie mit dem Motorrad hier? Sonst könnte ich Sie in die Stadt mitnehmen.“ Er hoffte, mit dem Burschen den Plan besprechen zu können.
Friedmann schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Walters soll hier bleiben.“
„Dann einen schönen Tag noch“, murrte er durch die zusammengepressten Zähne. Als Friedmann ihn zur Tür begleiten wollte, hob Tilse die Hand. „Nicht nötig. Ich finde allein raus. Danke für den Kaffee.“
Auf dem Dach seines Autos schimmerte ein weißer Klecks Vogelkot. Ver-dammt, erst gestern hatte er den Wagen eigenhändig gewaschen und mit Wachs poliert. Er brummte und schielte zum Haus, als wäre Friedmann auch daran Schuld. Ein weiterer Klecks plumpste von der Kastanie und eine Taube flatterte hoch. Tilse schleuderte ihr einen Stein hinterher, wohl wissend, das Mistvieh nicht treffen zu können. Seine Laune war damit endgültig verdorben.
Kapitel 16
Der große Zeiger schwenkte auf fünf vor drei, während die Geräusche aus dem Bad Mirjam lehrten, dass Stress und Temperament eine gefährliche Mischung darstellten.
„Wo ist die blöde Haarspange?“ Kristins Brüllen übertönte den dröhnenden Föhn. Die Schubladen klapperten. Etwas klirrte auf die Fliesen, vermutlich die Schale mit den Parfüm-Probefläschchen und Cremetuben. „Argh, wie sieht das denn aus? Ich dreh’ gleich durch!“
Mirjam reagierte nicht darauf. Kristin philosophierte oft mit sich selbst, befragte den Spiegel zu Schminktipps oder brüllte den Föhn an. Nun, andere redeten mit ihren Pflanzen. Den Elefantenfuß, der in der Ecke hinter dem Schreibtisch sein Dasein fristete, hatte Kristin dagegen noch nie angequatscht. Der Föhn verstummte, die Badtür quietschte und Kristin lugte hervor, nur mit einem BH bekleidet.
„Wie spät?“
„Vier vor drei. Ist dein Föhn explodiert? Beeil dich, er wird bestimmt gleich da sein.“
Zum Glück kam Kristin mit nach Niedersachsen. Die letzten Ereignisse hatten Mirjam in einen tiefen Sumpf gestoßen und die skrupellose Presse hatte noch einmal kräftig umgerührt. Sabre Dance von Max hatte sein übriges getan. So war Kristin der einzig greifbare Ast, der sie daran hinderte, unterzugehen.
Kristin pustete ihre Wangen auf, murmelte etwas und verschwand wieder im Bad. Der Föhn heulte, womit er sein Wohlauf signalisierte, während aus der Küche Frau Wiebke rief: „Soll ich euch Brote schmieren? Es wird eine lange Fahrt!“
„Nein, danke.“ Die Diskussion konnte Mirjam sich gut vorstellen: ‚Aber es kann alles Mögliche passieren’. Ihre Mutter war genauso.
„Ich mache euch doch lieber welche. Man weiß ja nie“, erwiderte Frau Wiebke und Mirjam ergab sich ihrem Schicksal.
Es klingelte, als der große Zeiger auf die Zwölf zuckte. Mirjam sprang auf und lief in den Flur, wo sie den elektronischen Öffner betätigte. Ihre Gefühle fuhren Achterbahn. Vielleicht war sein Ärger über Nacht verflogen? Was sie dafür nicht alles gegeben hätte!
Die Lifttüren rasselten und Max trat heraus. Er trug einen anthrazitfarbenen Anzug, zugeknöpft, was ihm einen offiziellen und distanzierten Ausdruck verlieh.
„Hejsan, Max.“ Sie hoffte, ihm würde es gefallen, wie sie sich Mühe gab, seine Sprache zu sprechen. Gestern hatte sie sogar ein ‚Wie geht es dir’ in einem Schwedisch-Forum aufgeschnappt. Kurz überlegte sie, wie sie dieses komische Kringel-A aussprechen sollte und entschloss sich für ein einfaches ‚A’: „Hur mar du?“
Sein Gesicht zeigte keine Regung. „Es heißt ‚mohr’, mit einem langen ‚O’.“
Mirjam wagte es, in seine Augen zu schauen, und bereute es sogleich. In einem polierten Obsidian wäre sie vermutlich auf mehr Gefühl gestoßen. Sie verfluchte das Duckmäuschen in sich, das sie gestern gezwungen hatte, ohne einen Erklärungsversuch zu gehen. Sie hätte mehr Elan einbringen sollen, um ihm die Situa-tion zu erklären. Aus der Wohnung ertönte die Stimme von Frau Wiebke.
„Hey ihr Lieben, kommt doch rein.“
Ohne Mirjam weiter zu beachten, trat Max in die Wohnung und ging vor dem Rollstuhl in die Hocke.
„Guten Morgen, Frau Wiebke.“
Sie erstrahlte. „Ach, du musst Max sein. Ich hoffe, gegen ein ‚du’ hast du nichts?“
„In Schweden duzen wir uns immer. Damit habe ich absolut kein
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