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Staub zu Staub

Staub zu Staub

Titel: Staub zu Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olga A. Krouk
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Walters. Er betrachtete die blasse Haut des Burschen, die leicht geschwollenen Lider mit den fast weißen Rändern. „Wirklich erstaunlich, mit welcher Hartnäckigkeit er an die Hilfe und das Erbarmen des Schöpfers glaubt. Mit anderen Worten: Er weigert sich, Jonathan in irgendeiner Weise zu hintergehen, denn Jonathan ist sein Gott. Lächerlich.“ Ein anderer Gedanke schwoll in seinem Kopf an: Was machte der Bursche hier? Hatte Walters bar jeder Vernunft beschlossen, sich der Kabbala zuzuwenden? Mit den Fingern tippte er auf die Tischoberfläche. Vielleicht hatte Friedman gar nicht vorgehabt, ihn anzurufen. Womöglich handelte es sich hier um ein Geheimtreffen, in das er unerwartet hineingeplatzt war.
    „Was für ein braver Katholik“, murmelte Friedmann. „Tja. Wir kennen einige, die sogar bereit waren, eigene Söhne als Brandopfer darzubieten.“
    Walters biss kräftig in den Apfel. Der Saft spritzte. „Und wozu sind Sie bereit?“ In seiner Stimme schwangen verbitterte Töne mit. Tilse grinste. Die unfreiwilligen Ferien im Klosterverlies hatte er also noch nicht verziehen. Gut so.
    Ohne auf die Bemerkung einzugehen, holte das Oberhaupt drei Tassen aus dem Schrank und verteilte Teebeutel.
    „Für mich Kaffee, bitte. Um Steiner zu überzeugen, habe ich ihm gestern das Ohr seiner Mutter geschickt.“ Tilse verzog das Gesicht, als er sich an das blutige Stück Fleisch in einer Tupperdose erinnerte.
    Walters warf seinen Apfel auf die Obstschale. „Na danke, nun ist mir der Appetit vergangen.“
    Friedmann zuckte mit keinem Muskel. „Das ist gut.“ Er goss das siedende Wasser in die Tassen. „Und?“
    „Leider ist die Alte gestorben. Herzinfarkt. Aber das muss ihr Sohn ja nicht erfahren.“
    „Richtig.“ Friedmann schaltete die Kaffeemaschine ein, stellte die zwei Tassen mit dampfendem Pfefferminztee ab und nahm die Mappe. „Ich bin gleich wieder da.“
    Nachdem das Oberhaupt die Küche verlassen hatte, lauschte Tilse den Schritten aus dem Wohnzimmer und flüsterte Walters zu: „Was ist mit Jonathan?“
    Der Bursche rieb sich die Augen, lehnte den Kopf zurück und murmelte: „Wie kann ich an ihn rankommen, wenn er immer in seiner Wohnung hockt? Heute früh war dieses Mädchen bei ihm. Dann hat mich Friedmann angerufen und ich musste weg.“
    „Was will der alte Mann von Ihnen?“
    „Ich weiß es nicht. Sie sind ja gleich nach mir gekommen.“
    „Sie sehen müde aus.“
    „Ich fühl mich wie ausgekotzt. Aber was soll’s. Solange ich noch lebe, will ich mich nicht beschweren.“ Er hustete und presste eine Hand an den Mund.
    „Wegen Jonathan: Sie müssen sich beeilen …“ Tilse hörte Schritte aus dem Flur und brach ab.
    „So.“ Friedmann setzte sich an den Tisch. „Noch einmal zu Steiner: Schicken Sie ihm morgen unsere Leute vorbei. Sie sollen ihm etwas Druck machen. Und nun zur Kabbala. Mir ist es gelungen, an eine sehr interessante Schrift zu gelangen, original von Luzzatto geschrieben – faszinierend.“ Er lächelte, als würde er von den ersten Schritten seines Enkels berichten. „Sie werden nie erraten, woher sie stammt.“
    Wieder bemerkte Tilse dieses fanatische Aufblitzen in den grauen Augen, unterdrückte aber seine Skepsis. „Acco? Der Kerl ist dort gestorben, wenn ich mich recht entsinne. War das sein Testament, in dem er für die Nachfolger den Schlüssel zur Thora hinterlassen hat?“
    „Vilnius. Die Schrift befand sich in Vilnius und es handelt sich in der Tat um eine der letzten Aufzeichnungen von Luzzatto, datiert mit 1745. Das ist ein Jahr vor seinem Tod.“ Friedmann machte eine bedeutungsvolle Pause. „Diese Schrift ist aus dem Nachlass von dem Gaon von Vilna. Sie wurde erst vor kurzem gefunden. Dank unserem Professor Berger.“
    Tilse beobachtete die Kaffeemaschine, die gluckerte und Dampf ausstieß. „Auch ein Kabbalist? Der Gaon, meine ich.“
    „Ja. Sein richtiger Name war Elijah Ben Salomon Zalman. Der Gaon ist ein Titel und wird an einen herausragenden Talmudgelehrten vergeben. Wörtlich bedeutet es ‚Weiser’. Vilna ist das heutige Vilnius in Litauen.“ Er schlürfte seinen Tee. „Und wir sprechen von einem beeindruckenden Mann. Wissen Sie, bereits im Alter von sechs Jahren hielt Elijah Predigten in Synagogen, er studierte die Thora, beschäftigte sich mit der Kabbala. Mit dreizehn Jahren startete er einen praktischen Versuch damit.“
    „Einen praktischen Versuch mit der Kabbala? Hatte er auch Besuche vom Engel Metatron genossen und mit verstorbenen

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