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Staub

Staub

Titel: Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Eises Gedanken hinweg wie der Schatten des Totenvogels. So nennt er es zumindest. Wenn er dann aufblickt, ist nichts zu sehen, da ist nur dieses Gefühl. Weiter will er sich auf derartige Gedanken nicht einlassen, denn wenn das Leben eines Menschen erst einmal zerstückelt worden ist und in Form von Proben unter seinem Mikroskop landet, ist es nicht ratsam, zu gründlich Ausschau nach dem Totenvogel zu halten. Sein Schatten allein ist schon mehr, als ein Mensch ertragen kann.
    »Ich dachte, Dr. Marcus wäre zu beschäftigt und ein viel zu wichtiger Mann, um selbst Autopsien durchzuführen«, meint Kit. »Ich kann die Male, die ich ihn hier zu Gesicht bekommen habe, an einer Hand abzählen.«
    »Das spielt keine Rolle. Er ist der Vorgesetzte und bestimmt die Regeln. Außerdem ist er derjenige, der die Bestellformulare für Q-Tips oder die Billigversion dieser Dinger abzeichnet. Also ist er in meinen Augen der Alleinschuldige.«
    »Tja, ich glaube nicht, dass er das Mädchen obduziert hat. Auch nicht den Traktorfahrer, der bei dem alten Gebäude umgekommen ist«, erwidert Kit. »Mit so was würde der sich nie die Hände schmutzig machen. Er spielt lieber den Boss und kommandiert alle herum.«
    »Haben Sie noch genug Eise-Nadeln?«, fragt Eise, während seine schlanke Hand rasch und sicher mit der Wolframnadel hantiert.
    Das Anfertigen seiner Wolframnadeln geschieht bei ihm in zwanghaften Schüben, worauf die Gerätschaften dann wie durch Zauberhand auf den Schreibtischen seiner Kollegen landen.
    »Eine neue Eise-Nadel ist nie zu verachten«, antwortet Kit wenig begeistert, als ob sie eigentlich gar keine möchte. Doch in seiner Phantasie ziert sie sich nur, weil sie ihm keine Umstände machen möchte. »Wissen Sie was? Ich werde dieses Haar nicht dauerhaft konservieren.« Sie schraubt die Permount-Flasche wieder zu.
    »Wie viele haben Sie von dem kranken Mädchen?«
    »Drei«, erwidert Kit. »Bei meinem Glück wird das DNS-Labor nämlich beschließen, dass es die Haare doch braucht, obwohl letzte Woche kein großes Interesse daran bestand. Also lasse ich dieses Haar und die anderen erst mal in Ruhe. Zurzeit führen sich alle auf wie die Verrückten. Jessie war in einem Schaberaum, als ich ankam. Sie waren dort mit der Bettwäsche zugange. Offenbar sucht das DNS-Labor nach etwas, das man beim ersten Mal nicht gefunden hat, und Jessie hätte mir fast den Kopf abgerissen, als ich gewagt habe zu fragen, was da los ist. Jedenfalls ist etwas Merkwürdiges im Busch. Wie wir beide wissen, haben sie die Bettwäsche vor einer Woche schon einmal im Schaberaum untersucht. Woher, glauben Sie, habe ich denn diese Haare? Komisch. Ob es an der Vorweihnachtszeit liegt? Ich hatte noch gar keine Gelegenheit, mir Gedanken über Geschenke zu machen.«
    Sie schiebt eine Pinzette mit nadelfeiner Spitze in einen kleinen Asservatenbeutel aus Plastik und holt ein weiteres Haar heraus. Aus Eises Perspektive ist es fünfzehn bis achtzehn Zentimeter lang, schwarz und lockig. Er sieht zu, wie Kit es auf einem Objektträger arrangiert, einen Tropfen Xylol und ein Abdeckplättchen darauf gibt und so ein schwereloses, kaum zu sehendes Beweisstück, sichergestellt in der Bettwäsche eines toten Mädchens, das Farbpartikel und einen seltsamen graubraunen Staub im Mund hatte, in eine Probe für das Mikroskop verwandelt.
    »Tja, Dr. Marcus ist eben nicht Dr. Scarpetta«, sagt Kit.
    »Sie haben nur fünf Jahre gebraucht, um dahinterzukommen? Zuerst dachten Sie bestimmt, Dr. Scarpetta hat sich komplett ummodeln lassen und sich in das kleine verhuschte Männlein verwandelt, das inzwischen hier den Chef spielt. Inzwischen hatten Sie ein Aha-Erlebnis und haben bemerkt, dass es sich um zwei völlig unterschiedliche Personen handelt. Und das ohne DNS-Test. Alle Achtung, Mädchen. Bei so viel Grips sollten Sie eigentlich Ihre eigene Show im Fernsehen haben.«
    »Spinner«, sagt Kit und muss so heftig lachen, dass sie vom Mikroskop zurückweicht, weil sie befürchtet, durch zu heftiges Atmen die Beweisstücke wegzupusten.
    »Ich habe zu viele Jahre lang Xylol eingeatmet, Schätzchen. Und jetzt habe ich Persönlichkeitskrebs.«
    »O Gott«, keucht sie lachend und schnappt nach Luft. »Ich wollte damit nur sagen, dass Sie keine Baumwollfasern aus Ihren Proben klauben müssten, wenn Dr. Scarpetta diesen Fall oder die anderen bearbeitet hätte. Wissen Sie eigentlich, dass sie hier ist?
    Sie wurde wegen des toten Mädchens gerufen, der kleinen Paulsson. So wird

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