Staub
Notizen und versucht, dem gefärbten Haar Informationen zu entlocken. Doch es schweigt beharrlich. Die unverwechselbaren Eigenschaften der Pigmente in der obersten Schicht wurden durch die Farbe verdeckt wie bei einem mit Tinte übermalten Fingerabdruck, bei dem keine Wellen mehr sichtbar sind. Gefärbtes, gebleichtes, dauergewelltes oder graues Haar, mit dem die Hälfte der Bevölkerung herumläuft, ist unter dem Mikroskop wenig aufschlussreich. Allerdings erwarten Geschworene heutzutage, dass ihnen ein Haar die Frage nach dem Wer, Was, Wann, Wo, Warum und Wie beantwortet.
Was die Unterhaltungsindustrie aus seinem Beruf gemacht hat, ärgert Eise. Von Leuten, die er kennen lernt, hört er immer wieder, wie sehr sie ihn um seinen aufregenden Beruf beneiden, obwohl er alles andere als spannend ist. Eise sucht weder Tatorte auf, noch trägt er eine Waffe. Das hat er noch nie getan. Er bekommt auch keine geheimnisvollen Anrufe, worauf er in einen High-Tech-Schutzanzug springt und in einem Spurensicherungs-Geländefahrzeug losbraust, um nach Fasern, Fingerabdrücken, DNS oder Marsmännchen zu suchen. So etwas ist die Aufgabe von Polizisten und Spurensicherungsexperten, forensischen Pathologen und Ermittlern. In der guten alten Zeit, als das Leben noch einfach war und forensische Wissenschaftler von der Öffentlichkeit in Ruhe gelassen wurden, fuhren Detectives von der Mordkommission wie Pete Marino in ihren schrottreifen Klapperkisten zum Tatort, sammelten eigenhändig die Beweise ein und wussten, was sie mitnehmen mussten und was sie getrost liegen lassen konnten.
Es ist überflüssig, einen ganzen gottverdammten Parkplatz zu staubsaugen. Man braucht auch nicht das gesamte Schlafzimmer einer armen Frau in Zweihundert-Liter-Müllsäcken abzutransportieren und den ganzen Mist hierher zu schaffen. Das ist, als würde ein Goldsucher das Flussbett mit nach Hause nehmen, anstatt es zuerst sorgfältig zu durchsieben. Allerdings gibt es auch andere, tiefer liegende Probleme, weshalb Eise immer wieder mit dem Gedanken spielt, in Rente zu gehen. Er hat keine Zeit für die Forschung oder auch nur ein bisschen Spaß und wird ständig mit Papierkram drangsaliert, der ebenso fehlerfrei erledigt werden will wie seine Analysen. Er leidet an Augenschmerzen und Schlaflosigkeit. Nur selten erntet er Dank oder Lob, wenn ein Fall aufgeklärt worden ist und der Schuldige bekommt, was er verdient. In was für einer Welt leben wir nur? Und es ist eindeutig schlimmer geworden.
»Wenn Sie Dr. Scarpetta treffen«, meint Eise, »erkundigen Sie sich nach Marino. Wir beide haben uns oft nett unterhalten, wenn er herkam, und im Polizeiclub ein paar Bierchen getrunken.«
»Er ist auch dabei«, antwortet Kit. »Er begleitet sie … Ich fühle mich wirklich ein bisschen komisch. So ein Kitzeln im Hals, und ich habe Schmerzen. Hoffentlich kriege ich keine bescheuerte Grippe.«
»Er ist hier? Du heiliger Strohsack! Dann werde ich den alten Jungen gleich mal anrufen. Das ist ja große Klasse. Also arbeitet er auch an dem toten Mädchen.«
So wird Gilly Paulsson inzwischen genannt, wenn man überhaupt irgendeine Bezeichnung für sie verwendet. Es ist leichter, nicht den wirklichen Namen zu benutzen, vorausgesetzt, dass man sich an ihn erinnert. Opfer werden zu dem, wo man sie gefunden hat oder was ihnen angetan wurde. Die Kofferfrau. Die Kloakenfrau. Das Müllhaldenbaby. Der Rattenmann. Der Isolierbandmann. Was die Geburtsnamen dieser Menschen betrifft, hat Eise zumeist keine Ahnung. Und das ist ihm auch lieber so.
»Falls Scarpetta eine Theorie hat, warum im Mund des toten Mädchens roter, weißer und blauer Lack und dieser merkwürdige Staub gefunden wurde, würde ich die gerne hören«, sagt er. »Offenbar handelt es sich um rot, weiß und blau lackiertes Metall.
Aber es ist auch unlackiertes Metall dabei, kleine schimmernde Splitter. Und noch etwas, von dem ich nicht sagen kann, was es ist.« Wie unter Zwang schiebt er das Material auf dem Objektträger herum. »Als Nächstes führe ich eine Untersuchung mit dem Spektrometer durch, um festzustellen, mit was für einem Metall wir es zu tun haben. Gab es im Haus des toten Mädchens irgendwas Rot-Weiß-Blaues? Ich glaube, ich mache mich mal auf die Suche nach dem alten Marino und geb ihm ein paar kühle Bierchen aus. Junge, ich könnte selbst auch einen Schluck gebrauchen.«
»Reden Sie nicht von Bier«, meint Kit. »Mir ist wirklich nicht gut. Ich weiß, dass wir uns an den Abstrichen und den
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