Staustufe (German Edition)
haben, der Herr Geibel komme vorläufig nicht wieder und wir hätten jetzt einen regulären Mietvertrag mit ihm gemacht. Die sind dann ohnehin bald weggezogen. Als wir wussten, er ist tot, hat dann mein Mann gleich angefangen, Geibels Post aufzumachen, zur Sicherheit. Die sollte er eigentlich wöchentlich nachschicken. Außer ein paar Zeitschriftenabos waren das meist Kontoauszüge und Rechnungen. Eines Tages kam eine neue Bankkarte und eine Geheimzahl. Geldautomaten waren damals noch relativ neu, aber es gab schon einige. Bert fing dann an, uns von Geibels Konto mit Geld zu versorgen. Die Nebenkosten gingen sowieso automatisch von dem Konto ab. Später gab es dann dieses Internetbanking. Das klappte auch problemlos. Für die Post haben wir einfach neben Geibels Briefkasten vorne am Hoftor noch einen weiteren mit unserem Namen aufgehängt und beide geleert. Nur krankenversichern mussten wir uns extra. Werner Geibels private Versicherung zu nutzen haben wir uns nicht getraut. Manchmal ist Bert aber zu irgendeinem Arzt in der Stadt und hat unter dem Namen Werner Geibel ein Privatrezept verlangt. Das hat er dann bei dieser Beihilfe eingereicht, damit der Pensionskasse nicht auffällt, dass der Geibel nie krank ist.»
«Sie können mir doch nicht erzählen, dass Sie all die Jahre nicht wussten, dass Geibels Leiche bei Ihnen im Keller liegt.»
«Ich hab es wirklich nicht gewusst. Wir hatten keinen Schlüssel zu dem Raum. Vielmehr, ich dachte, wir hätten keinen. Ich nahm an, dass da irgendwelche alten Sachen von Geibel drin sind. Die haben mich nicht interessiert. Bloß am Anfang – ich hatte am Anfang den Eindruck, dass es im Keller nicht gut roch. Da habe ich gedacht, dort liegt bestimmt Müll. Aber es war im Keller ohnehin so muffig …»
«Und dann sind Sie all die Jahre da wohnen geblieben und haben von Geibels Pension gelebt?»
Sie nickte unglücklich.
«Hatten Sie denn gar kein schlechtes Gewissen?»
«Doch. Also, ehrlich gesagt nicht gegenüber Werner Geibel, der war ja tot, und ich dachte ja auch … Aber Angst hatte ich die ganze Zeit. Man fühlt sich nicht wohl, wenn man etwas Illegales tut. Ich habe jeden Tag gefürchtet, dass sich irgendein Verwandter von Geibel meldet und es auffliegt. Oder dass ich uns verrate, aus Versehen. Bert hat das immer prophezeit: Du wirst noch unser Verderben sein mit deiner Dummheit. Du kannst ja keine zwei Worte sagen, ohne dich zu verplappern. Und irgendwie hatte er ja recht. Ich bin schuld. Ich bin überhaupt an allem schuld. Für Basti wäre es besser, ich hätte jetzt alles auf sich beruhen lassen. Er könnte ganz normal weiterleben. Ich habe ihm alles kaputtgemacht. – Herr Winter, wie geht es meinem Sohn, wo ist er?»
Das fragte sie erst jetzt? Aber sie sah wirklich schlecht aus.
«Bei der Leiterin seiner Theater-AG. Er ist da vorläufig gut aufgehoben.»
Sie legte eine Hand über die Augen. «Besser als bei mir», murmelte sie. «Besser als bei mir. Ich wollte doch so sehr eine gute Mutter sein. Stattdessen hab ich ihn immer merken lassen, dass es mir nicht gutgeht. Und jetzt habe ich seine Welt zerstört.»
«Also, Frau Stolze, die Selbstvorwürfe sind an dieser Stelle nicht angebracht. Wenn Sie diejenige waren, die jetzt den Stein ins Rollen gebracht hat, dann war es nur das, was Sie schon all die Jahre vorher hätten tun sollen. Sie haben ganz richtig gehandelt.»
«Nein, das stimmt nicht. Das stimmt überhaupt nicht. Das sagen Sie als Polizist. Aber ich als Mutter … es war richtig, Werner Geibels Geld zu nehmen. Ich dachte ja damals sowieso, er wäre in Thailand gestorben. Aber selbst wenn ich damals gewusst hätte, wie es wirklich war, es wäre trotzdem richtig gewesen, nichts zu sagen und einfach weiterzumachen. Für Basti musste ich es tun. Was wäre denn die Alternative gewesen? Dann wäre Basti in irgend so einem Wohnsilo aufgewachsen, wo die Kinder alle nicht Deutsch sprechen, als Sohn einer alleinerziehenden Mutter; das ist ja so ein schlechter Start ins Leben.»
«Für Sie war es natürlich auch schöner in einem eigenen Haus am Main statt in einem Massenwohnblock. – Wie war es denn nun wirklich mit Werner Geibel? Er hatte es sich anders überlegt, und Ihr Mann hat ihn getötet, an dem Tag, als Sie eingezogen sind?»
Sabine Stolze schüttelte den Kopf. «Nein, nein, so war es nicht. Das hätte Bert sicher nicht getan. Er hat mir erzählt, wie es wirklich war, vorgestern Nacht, als ich mich im Keller eingesperrt hatte. Nachdem ich die
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