SteamPunk 3: Argentum Noctis: SteamPunk (German Edition)
und versuchte, Rachel mit einem Sprint den Weg abzuschneiden. Bei ihrem Tempo war dieses Unterfangen meiner Einschätzung nach jedoch zum Scheitern verurteilt. Fiddlebury und ich liefen mit unseren Lampen hinterher; allerdings konnte ich mit meinen kurzen Beinen nicht einmal mit dem alten Mann mithalten. Ich stürzte in einen seiner Fußabdrücke und nahm mit meinem Gesicht erneut eine Bodenprobe. Als ich mich wieder aus dem breiigen Schlamm aufgerappelt hatte, konnte ich Fiddleburys Funzel gerade hinter einer Baumgruppe verschwinden sehen. Rachels glühende Augen schienen mittlerweile kilometerweit entfernt zu sein und selbst ihre Schreie wurden fast vollständig von der tiefschwarzen Nacht des Moores verschluckt. Jeden Augenblick würde ich in dieser Welt aus Dunkelheit vollkommen allein sein.
Wie eine eigenständige Wesenheit griff die Panik nach meinem Herzen und biss sich darin fest. Das glühende Licht in Rachels Augen war der einzige sichtbare Hinweis auf eine andere Seele in diesem Geistermoor. Und so hechtete ich dem dämonischen Feuer hinterher, als würde mein Leben davon abhängen. Da ich auf zwei Beinen viel zu langsam war, ließ ich sogar die Lampe fallen und rannte blind vor Angst dem immer schwächer werdenden Licht hinterher. Ich lief gegen Pflanzen, stolperte über Steine und klatschte schließlich in schlammiges Wasser. Die stinkende Brühe schien mich mit Milliarden glitschiger Krakenarme in die Tiefe ziehen zu wollen, doch die Panik schenkte mir Bärenkräfte. Irgendwie gelang es mir, Boden unter die Füße zu bekommen – oder zumindest etwas, das nicht wie Öl unter meinen Füßen nachgab.
Es schien eine Art Holz zu sein, das wenige Zentimeter unter der Oberfläche lag. Ich war so erleichtert, dass ich beinahe wieder denken konnte. Mir diesen Zustand zu erhalten, war jedoch nicht leicht. Außer dem leisen Schlürfen des brackigen Wassers um mich war kein Geräusch mehr zu hören. Meine Begleiter schienen endgültig von der Dunkelheit verschluckt worden zu sein, als könne man in dieser Nacht ebenso versinken, wie im Moor darunter. Oder vielleicht war ich es, der verschluckt worden war. Der irrationale Gedanke ließ mich nicht mehr los. Mit einem Mal schien die Dunkelheit wie eine riesige glitschige Nacktschnecke näher an mich heranzuschieben . Die Nacht schien nicht einfach die Abwesenheit des Tages zu sein. Sie war wie ein Fluidum, das unerbittlich in mich hineinzudringen schien. Vielleicht bin ich nicht mehr auf der mir bekannten Welt, durchzuckte es mich. Beinahe schien das schlammige Wasser um mich eine erlösende Rettung aus den Schrecken dieser Nacht zu bieten.
Was würde Julie denken? Dass ich aus Furcht vor der Dunkelheit ertrunken war? Natürlich war der Gedanke lächerlich – wäre ich damals wirklich ertrunken, hätte wohl nie jemand von meinen Nöten erfahren. Aber der Gedanke an Julie rettete mich. Plötzlich konnte ich wieder klar denken.
Zunächst musste ich aus diesem Wasser heraus. Vorsichtig ertastete ich meine Umgebung. Meine rettende „Insel“ war rundherum fest und mit einer lederartigen Pelle umgeben, auf der ich gut Halt fand. Nach weinigen Augenblicken stellte ich fest, dass es sich tatsächlich um eine Art Leder handelte: Ich ertastete Zähne. Als hätte jemand das Licht angemacht, formte sich in meinem Kopf das Bild einer grässlichen Moorleiche, auf deren Gesicht ich gerade saß. Ja, ich bin Wissenschaftler. Aber bitte beziehen Sie die Umstände in Ihr Urteil ein. Ich frage mich, wie Sie in einer solchen Situation reagieren würden.
Von einem Herzschlag auf den anderen sprang mich das Grauen mit derartiger Intensität an, dass ich erneut die Kontrolle verlor. Irgendwie gelang es mir, von der Leiche herunter und sogar auf beinahe festen Boden zu kommen. Ich erinnere mich, völlig von Sinnen durch die absolute Dunkelheit gerannt zu sein. Alles, was ich hörte, war mein Blut, das wie ein panischer Orkan durch meine Ohren rauschte. Ein Wunder, dass ich mir nicht an irgendeinem Hindernis den Schädel einschlug.
Meine wilde Flucht endete auf eine Weise, die ich noch immer nicht genau erklären kann. Bis heute habe ich es nur bei einem Menschen über mich gebracht, von den weiteren Geschehnissen in dieser Nacht zu berichten. Ich bitte Sie deshalb, diesen Teil meiner Geschichte als absolute Privatangelegenheit zu betrachten und auf keinen Fall weiterzuerzählen.
Denn von einem Augenblick auf den anderen hatte ich wieder Licht und wurde vom Gejagten zum Jäger. In
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