SteamPunk 3: Argentum Noctis: SteamPunk (German Edition)
sondern warf sich hastig ihr Cape über. Ich war viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt, um auch nur an meinen Rock zu denken. Dankbar ließ ich mich einfach von Julie in ihrem Mantel verstauen. Ihr Duft hatte etwas unsagbar Tröstliches an sich. Nur mit halbem Ohr nahm ich wahr, dass die beiden Frauen eine Droschke nahmen. Dann bin ich – glaube ich – weggedöst. Jedenfalls ist meine nächste Erinnerung die Ankunft in einem Chaos aus Gebrüll, Rauch und Panik.
Eine Manufaktur stand lichterloh in Flammen. Überall liefen Feuerwehrleute herum; verlegten Schläuche und arbeiteten an Pumpen. Es waren bestimmt über hundert Männer, aber das Feuer war so sehr außer Kontrolle geraten, dass an ein Löschen vorerst nicht zu denken war. Die Feuerwehr beschränkte sich im Augenblick darauf, die umstehenden Gebäude zu schützen.
Auch die Polizei war mit mindestens einer Hundertschaft vor Ort. Vergeblich versuchten sie, die Schaulustigen zu vertreiben und dem Rettungsdienst ein Durchkommen zu ermöglichen. In zwei grob geordneten Bereichen lagen Menschen auf dem Boden. Auf der einen Seite Opfer, die wegen Rauchvergiftungen behandelt wurden. In einem anderen Bereich hatte man ältere Männer gefesselt zu Boden gebracht. Charles stand bei einem Polizeioffizier und erklärte dem Beamten wohl gerade, dass keiner der Festgenommenen der Gesuchte war.
„Es tut mir leid, meine Damen“, wurden meine Begleiterinnen von einem jungen Polizisten höflich angesprochen. „Sie können hier leider nicht bleiben. Bitte …“
„Oh mein Gott, Papa!“, rief Julie plötzlich mit herzzerreißendem Entsetzen in der Stimme. Sie tat, als hätte sie hinter dem Beamten ihren Vater entdeckt. Sanft legte sie ihre behandschuhte Hand auf die Schulter des Mannes und versuchte ihn beiseitezuschieben. Als das nicht ausreichte, blickte sie ihn mit plötzlich tränenüberströmtem Gesicht und einem gekonnten Augenaufschlag an. „Bitte, Herr Wachtmeister. Lassen Sie uns zu meinem Vater – er ist doch schon so alt.“
Ihr Auftritt zeigte Wirkung.
Sofort ergriff Julie Rachels Hand und zog sie durch die Absperrung. Kurz darauf fiel der Rotschopf meinem Freund um den Hals.
Nach einigen Minuten der stillen Umarmung ließen wir uns auf einer direkt am Wasser stehenden Holzkiste nieder. Charles erstattete detailliert Bericht, wobei er nur die scheußlichsten Details ausließ. Auch auf ihn hatte Fiddlebury danach bereits tot gewirkt, bevor er in die brennende Manufaktur geraten war. Die Schuldgefühle lasteten wie ein Gebirge auf mir. Ich hätte keine Träne zerdrückt, wenn er ermordet worden oder einfach tot umgefallen wäre. Sein Blut aber an meinen Händen zu wissen war ein furchtbares Gefühl.
Als Charles geendet hatte, breitete sich Schweigen aus. Es gab einfach nichts mehr zu sagen. Julie streichelte mich sanft, während Rachel den Kopf leise weinend auf Charles’ Schulter legte. So beobachteten wir die hoch in den Nachmittagshimmel leckenden Flammen. Bei Einbruch der Dämmerung begann das Gebäude in sich zusammenzufallen. Es war nicht besonders spektakulär – ein Krachen, etwas Funkenflug und die Manufaktur hatte kein Dach mehr. Kurz darauf kündete ein Rumpeln davon, dass auch die Stockwerke im Innern das Zeitliche segneten.
Bis tief in die Nacht beobachteten wir das sterbende Gebäude. Keiner von uns kam auf die Idee, endlich nach Hause zu gehen; ich glaube, wir realisierten gar nicht, wie viel Zeit verging. Nur Julie legte irgendwann den Kopf auf Charles’ Schulter und nickte ein.
Kurz nach eins galt das Feuer als endgültig gelöscht und sowohl die Feuerwehr als auch die Polizei rückte bis auf eine Brandwache ab. Vom einstmaligen Flammenmeer war nur der Geruch von feuchter Asche und Rauch geblieben. Ab und zu knackte es unheimlich in dem Trümmerfeld.
Kurz vor Sonnenaufgang richtete sich Charles plötzlich kerzengerade auf. Ich dachte, er würde sich nur straffen, um endlich vorzuschlagen, dass wir nach Hause gingen. Doch er starrte zu der Ruine hinüber.
„Ich glaube, ich habe eine Bewegung gesehen“, flüsterte er. Während er aufstand herrschte einen Augenblick verwirrtes Schweigen. Vor allem die schläfrige Julie brauchte lange, um überhaupt zu begreifen, was geschehen war.
„Ein Plünderer?“, vermutete ich.
„Wenn der nicht durch die Themse geschwommen ist, hätte er an den Laternen der Brandwache vorbei gemusst. Und zum Plündern dürfte alles noch viel zu heiß sein.“ Charles hatte Recht. Ich sparte mir
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