Steels Ehre: Jack Steel und die Schlacht von Höchstädt 1704. Historischer Roman (German Edition)
harten Blick. Kannte er etwa doch den wahren Grund für den Marschbefehl?
»Mir ist sehr wohl bewusst, wie wichtig Eure Mission ist, Mr. Steel. Wir müssen so schnell wie möglich mit dem Mehl zur Armee zurückkehren. Dennoch bin ich hier der ranghöhere Offizier und wünsche, dass wir für die Nacht das Lager aufschlagen. Herr Kretzmer, da bin ich sicher, kann auch bis morgen früh warten.«
Steel zügelte seinen Zorn und wandte sich Slaughter zu, der gerade dabei war, die Wunde eines jungen Grenadiers zu verbinden.
»Sergeant. Lasst die Männer wegtreten und das Lager aufschlagen. Wir übernachten hier. Befehl von Major Jennings.«
Jennings schlenderte derweil zu einem weiteren toten Bauern. Das kleine, schwarz umrandete Einschussloch, das die Musketenkugel in die Brust des Mannes gefressen hatte, täuschte über die weitaus blutigere Wunde hinweg, die das Geschoss beim Austritt am Rücken hinterlassen hatte. Jennings versetzte der Leiche einen Tritt und rieb sich nachdenklich das Kinn. Er brauchte diese Verzögerung, um sein weiteres Vorgehen zu planen. Denn das ursprüngliche Vorhaben, noch vor Steel bei dem Kaufmann zu sein, hatte sich erledigt. Jetzt musste Jennings auf eigene Faust handeln.
***
Eine halbe Stunde später brütete der Major immer noch über seinem Plan, als Stringer zu ihm trat.
»Bitte um Verzeihung, Sir, aber meine Männer und ich fragten uns, ob Ihr auch etwas von dem Hühnchen wollt, Sir. Alles legal beschafft, Sir. Gehörte eigentlich niemandem.«
Jennings verzog den Mund zu einem Lächeln. »Wie aufmerksam, Sergeant. Das könnte mir gefallen. Und da es niemandem gehörte, sollten wir die Sache schön für uns behalten, wie? Aber sagt, wie wollt Ihr das Hühnchen denn kochen? Wollt Ihr es frikassieren, oder wünschen die Herren lieber ein Ragout?«
Steel beobachtete, wie der Major und dessen kriecherischer Sergeant zu der Stelle gingen, wo sich ein paar Schützen um ein Feuer geschart hatten. Über den Flammen hatten sie aus zwei gespaltenen Ästen und einem quer verlaufenden Ast eine Art Drehspieß konstruiert. Dafür hatte gewiss Stringer gesorgt. Bestimmt hatte er einige der einfachen Soldaten gezwungen, ihren hart erbeuteten Proviant abzugeben, legal oder nicht. Die übrigen Soldaten, Williams und er inbegriffen, würden mit dem Brot und dem Käse vorliebnehmen müssen, den Steel seit nunmehr zwei Tagen mit sich herumschleppte. Slaughter, das wusste er, hatte eine Flasche Rum bei sich.
Sie hatten nicht genug Zeit gehabt, die Toten vor Einbruch der Dunkelheit zu bestatten. Doch man hatte die Leichen an eine Stelle geschleift und notdürftig mit Laub, Ästen und Zweigen bedeckt, die man noch rasch in der Dämmerung zusammengetragen hatte. So lagen die Toten unter den Bäumen entlang des Flusslaufes; den Gestank wehte der Wind vom Lager fort. Keine ideale Lösung, aber auch das gehörte zum Krieg. Man musste stets das Beste aus seinem Schicksal machen.
Steel griff in seine Tasche, holte ein Stück Kautabak hervor und schob es sich in den Mund. Slaughter hatte er mit ausreichend Soldaten zurück zur Wagenkolonne geschickt. Die Fuhrwerke waren zwar leer, aber Steel konnte es sich trotzdem nicht leisten, sie zu verlieren. Er schritt durch das Lager und stieß unweit der Brücke auf Tom Williams. Der junge Fähnrich blickte hinauf zum Sternenhimmel.
»Ist das dort nicht der Große Wagen, Sir?«
»Da dürftet Ihr recht haben, Tom. Sehr gut. Wir machen noch einen Waldläufer aus Euch.«
»Wir können froh sein, dass wir Major Jennings und dessen Männer bei uns haben, meint Ihr nicht auch?«
Steel spie ein Stück des bitteren Tabaks auf den Boden. »Ja, durchaus. Gut zu wissen, dass ich immer in Colonel Hawkins’ Gedanken bin. Der heutige Vorfall zeigt uns, dass wir die zusätzlichen Männer gut gebrauchen können. Aber Zeit ist alles, Tom. Wir sollten nicht zu lange verweilen.«
Während Steel diese Worte sprach, konnte er immer noch nicht begreifen, was Hawkins geritten hatte, einen Mann wie Jennings als Entsatz auf den Weg zu schicken. Und warum hatte der Major entschieden, für die Nacht das Lager aufzuschlagen, unweit der Toten, wenn die Stadt doch so nah war? Später, als er sich die Decke enger um den Leib schlang und versuchte, Schlaf zu finden, war er immer noch mit diesen Gedanken beschäftigt, während das leise sprudelnde Wasser einen gleichbleibenden Klangteppich bildete. Unterbrochen wurde das Plätschern nur von dem Ruf einer Eule, die es sich auf einem der Bäume
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