Steels Ehre: Jack Steel und die Schlacht von Höchstädt 1704. Historischer Roman (German Edition)
sich nicht auf der Stelle übergeben zu müssen.
Der Gestank war widerwärtig, aber der Anblick, der sich ihm dann in dem Zwielicht bot, war weitaus schlimmer.
In der Scheune lagen zahllose Leichen. Achtlos hatte man Männer, Frauen und Kinder übereinandergeworfen. Es mussten mehr als hundert Tote sein. Jeden Alters. Und keiner war mehr am Leben; das spürte Steel, da brauchte er gar nicht erst nachzusehen. Wer auch immer für dieses Grauen verantwortlich war, hatte ganze Arbeit geleistet. Nicht ein Laut drang aus dem Innern der Scheune an Steels Ohren. Nein, das stimmte nicht ganz: Als er genauer lauschte, vernahm er das Summen von Schmeißfliegen, die über den leblosen Körpern schwirrten oder bereits auf den starren Gesichtern saßen.
Sattelberg war ein kleines Bauerndorf mit etwa hundertzwanzig Seelen gewesen. Und hier lagen die Dorfbewohner. Man hatte sie kaltblütig ermordet und einfach liegen gelassen, bis sie verrotteten.
Doch im selben Moment schoss Steel ein Gedanke durch den Kopf: Man hatte die Toten nicht »einfach so« liegen gelassen. Den Mördern war es vielmehr darauf angekommen, dass die Leichen entdeckt wurden. Aber Steel wusste gleich, dass dies nicht das Werk von Marlboroughs Dragonern war. Aber genau das sollten diejenigen glauben, die die Leichen fanden. Es sollte aussehen wie ein Verbrechen, das britische Soldaten an Zivilisten verübt hatten. Aber wer auch immer hinter dieser grauenvollen Tat steckte, hatte gewiss nicht damit gerechnet, dass diese blutige Schlächterei von britischen Rotröcken entdeckt werden würde.
Dennoch, Steel fragte sich sogleich, was für Menschen ein solches Blutbad unter einfachen Dorfbewohnern anrichteten. Diese Art von Gräueltaten hatte Europa seit knapp hundert Jahren nicht mehr erlebt. Vielleicht zuletzt in den Glaubenskriegen in deutschen Landen, als König Gustav II. Adolf von Schweden in das Kriegsgeschehen eingegriffen hatte. Sollte Steel jetzt etwa Zeuge einer rücksichtslosen Kriegsführung werden? Bereits der verlustreiche Sturm auf den Schellenberg hatte ihn nachdenklich werden lassen. Aber dieses Grauen hier in der Scheune beschrieb eine neue Dimension des Krieges.
Entsetzt blickte er auf die Leichen, sah unter dem Torso einer halbnackten Frau das Bein eines Mädchens hervorragen, das nicht älter als zehn Jahre gewesen war. Die Frau, von Blut besudelt, mochte die Mutter des Mädchens gewesen sein, denn noch im Tod hatte sie die Arme um ihr Kind geschlungen. Steel zwang sich, ein paar Schritte tiefer in die Stätte des Grauens zu treten. Er sah den reglosen Leib eines Jungen, dem die Schädeldecke fehlte; daneben lag ein Mädchen, auf dessen klaffendem Rücken der Austritt einer Musketenkugel zu erkennen war. Angewidert und voller Entsetzen stolperte Steel über leblose Gliedmaßen hinweg zurück zum Tor und stieß auf den toten Dorfgeistlichen. Zusammengesunken kauerte er in einer Ecke. Jemand hatte ihm mit einem Degen den Schädel gespalten.
Steel taumelte zum Tor. Was für Menschen töteten unschuldige Bauernfamilien? Nein, als Menschen konnte man sie wohl kaum bezeichnen. Bestien waren sie. Als der Gestank ihm den Atem raubte, zog er ein Tuch aus seiner Tasche und hielt es sich vor die Nase.
»Sergeant Slaughter. Hierher.« Steels Mund war staubtrocken. Er bekam kaum ein Wort hervor.
Slaughter kam verdutzt näher und betrat die Scheune. Einen Moment lang stand er sprachlos und wie angewurzelt da; dann hielt er sich eine Hand vor den Mund und sprach wie im Flüsterton: »Großer Gott. Heilige Mutter Gottes. Die armen Schweine. Wer, zum Teufel, hat das getan? Doch nicht etwa die Franzosen? Doch wohl keine Soldaten, oder? Sir?«
Steel starrte erneut auf den Berg aus Leichen in der Scheune und rang um Fassung. »Nein, Jacob, ich glaube nicht, dass das unsere Leute waren«, brachte er schließlich hervor. »Und es werden wohl kaum Bayern gewesen sein. Dieses Massaker hier mag der Grund sein, warum Major Jennings von den Bauern angegriffen wurde. Es können eigentlich nur Franzosen gewesen sein. Glaubt Ihr nicht auch?«
»Ich habe in diesem Krieg gelernt, nicht groß nachzudenken, Sir. Mein Gott, seht Euch das an. Auch die kleinen Kinder, alle tot. Das ist unmenschlich, Sir. Unmenschlich.«
»Genau das sollen wir bei diesem Anblick denken, Sergeant. Auch alle anderen, die vor uns die Leichen gefunden hätten. Wir sollten die Toten gewiss nicht als Erste entdecken. Aber Ihr habt ja auch den Rauch gesehen. Stellt Euch einmal vor, Ihr wäret
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