Steels Entscheidung: Historischer Roman (German Edition)
letzten Zweifler führte die neue Fahne die neue Ordnung vor Augen: Farquharson hatte einst ein Regiment mit schottischen Infanteristen ausgehoben, die bei Blenheim und Ramillies unter dem blau-weißen Andreaskreuz ihrer Heimat gekämpft hatten, aber seit dem letzten Jahr gehörten all diese Männer zur britischen Infanterie. Zu den britischen Grenadieren. Sie waren stolz, fortan nicht nur der Königin, sondern auch der vereinigten Nation dienen zu dürfen. Steel beobachtete, wie sich das Sonnenlicht in den wehenden Fahnen fing.
Hinter den Fahnen, in dem Marschlandgürtel und auf den Anhöhen vor dem Dorf Eename, konnte man die Masse der Kolonnen sehen, die sich wie farbige Bänder durch die Landschaft schlängelten – eine Streitmacht aus vielerlei Nationen. Diese Truppen warteten hinter Farquharsons Regiment auf den Befehl, nach und nach die schmalen Holzbrücken zu überqueren, die auf den Blechbooten angebracht waren.
Inmitten der anderen Regimenter, das wusste Steel, wartete eine der besten Infanteriekompanien der Welt: Lord Herberts Foot, direkt daneben die Männer von Gibson, Farrington, Meredith und Holland. Dahinter schlossen sich die Einheiten von Princess Anne, Granville, Clifton und Douglas an, dazu andere Regimenter, die bis vor Kurzem noch ausschließlich zur schottischen Armee gehört hatten: die Royals, die North British Fusiliers und die Earl of Angus’s Foot. All diese Namen würden gewiss für immer in die Annalen der britischen Armee eingehen.
Rechts von den britischen Brigaden standen die Alliierten: die Preußen und Hessen in ihren auffallenden blauen Uniformen, die Hannoveraner und Schweizer Verbände in Rot und die Dänen in ihren charakteristischen grauen Uniformen. Die Soldaten dieser Regimenter sangen und fluchten in mehr als einem Dutzend verschiedener Sprachen, und doch waren alle auf Befehl ihres großen Feldherrn bis nach Oudenaarde gekommen. Hier, auf flandrischem Boden, zeigte sich die Vielfalt der europäischen Völker: Engländer, Iren, Schotten und Waliser, blasse Skandinavier, Männer aus den italienischen Staaten und deutschen Landen und im Exil lebende Hugenotten.
Doch seit einiger Zeit waren zu viele dieser Männer schweigsam. Sie sahen zu, wie ihre Kameraden, die früher am Morgen eingetroffen waren, drunten im Tal auf den Feind stießen, Salven abfeuerten, dem Kugelhagel trotzten, stürmten, kämpften und starben. Die unfreiwilligen Zuschauer indes waren machtlos. Denn sie hatten den Befehl, zu warten; daher gab es keine Alternative, als das Geschehen mit wachen Augen zu verfolgen.
Steel hingegen erschrak ein wenig, als er sich bewusst machte, dass seine eigenen Männer alles andere als still waren und Taylor sein Lied immer noch nicht beendet hatte. Oder hatte der Corporal erneut die eingängige Melodie angestimmt? War es ihm, Steel, entgangen, weil er sich den eigenen Tagträumen hingegeben hatte? Steel lauschte auf den Gesang, auf die nicht enden wollenden Verse:
»Es erhalten den Sold im Pulver und Gerassel der Kugeln,
die Soldaten wie Marlborough und ich.«
Nach Steels Dafürhalten spiegelte das Lied sein eigenes Leben wider – ein Leben, das in Pulver und Blei bezahlt wurde. Seit seinem siebzehnten Lebensjahr war das Steels Sold gewesen. Im Range eines Lieutenants hatte er sich diesem Krieg angeschlossen, hatte sich auf eigenen Wunsch und zum Verdruss seiner Offizierskameraden zu den Grenadieren versetzen lassen.
Den Rang eines Captains jedoch hatte er sich nicht erkauft, wie es meistens in der Armee gehandhabt wurde, sondern sich verdient – aufgrund seiner Tapferkeit in der Schlacht, seines mutigen Einsatzes und nicht zuletzt aufgrund seiner kürzlich entdeckten Fähigkeit eines »Spähers«. Denn Steel gehörte zu dem neuen Typus von Offizieren, die seit einiger Zeit den Dienst antraten und unter anderem Spezialeinsätze übernahmen. Vor der Schlacht von Blenheim – diesen Sommer vor genau vier Jahren – hatte Steel eigenhändig eine Verschwörung gegen Marlborough vereitelt. Gewisse Kreise innerhalb der Armee und der politischen Vertreter in London hatten versucht, den Herzog als jakobitischen Verräter zu brandmarken, um ihn dadurch nachhaltig zu diskreditieren und seines Kommandos zu entheben. Keine zwei Jahre war es her, da hatte Steel eine Schlüsselrolle in der heimlichen Eroberung von Ostende gespielt. Seither war die Stadt an der Kanalküste der Nabel der britischen Armee, sobald es um Nachrichtenwege nach England und die Beschaffung von
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