Steels Entscheidung: Historischer Roman (German Edition)
Feldern, in den Obstgärten und auf der weiten Ebene. Wiederholt hatte er die Passivität seiner Kommandeure verflucht.
Steel wischte sich den Schweiß von der Stirn, denn die Sonne brannte vom Himmel. Und immer noch warteten sie auf den Befehl zum Angriff.
Wieder rief Steel zu Hansam hinüber, wie des Öfteren im Verlauf des Tages. »Wie spät ist es bei dir, Henry?«
Der Lieutenant holte seine wertvolle goldene Sprungdeckeluhr hervor, die er bei Blenheim einem toten Franzosen abgenommen hatte. »Gleich halb fünf.«
Steel nickte zum Dank, verscheuchte eine Fliege, die ihm um den Kopf schwirrte, und fuhr mit einem Finger an seinem schweißnassen Kragen entlang. Auch in diesem Feldzug spürte er, dass sich wieder einmal Läuse in seinem Hemd festgesetzt hatten. Eine elende Qual für jeden Soldaten. Steel hatte sich der Plagegeister in England entledigt und hatte auch in Brüssel nicht klagen können, aber seitdem die Truppen wieder marschierten, waren die kleinen Biester wieder da – und Steel wurde das Gefühl nicht los, dass die Blutsauger nach ihrer Abwesenheit erst richtig lästig geworden waren.
Was hätte er nicht alles für ein sauberes Hemd gegeben, geschweige denn für ein anständiges Bad, dazu einen Krug Ale und ungestörten Schlaf! Vor allem Schlaf. Mit einer Hand rieb er sich über das stoppelige Kinn. Eine Rasur wäre auch nicht zu verachten, nicht zu vergessen die Aussicht, wieder mit seiner Frau das Bett zu teilen.
Mit Verzögerung fiel ihm auf, wie sehr er inzwischen schwitzte. Der Tag neigte sich fast dem Ende zu, und der Kampflärm aus dem Tal schien die Hitze noch zu verstärken. Wie lange würden sie noch hier ausharren müssen? Taylor und die Kameraden hatten längst ihre letzte Strophe gesungen, und Stille senkte sich auf die Reihen; die alten Ängste schlichen sich wieder in die Köpfe und Herzen der Männer.
Steel straffte die Schultern und sprach so laut, dass die Männer ihn hören konnten: »Das habt Ihr sehr gut gemacht mit dem Singen, Corporal Taylor. Würde es Euch etwas ausmachen, wenn wir in Kürze noch einmal auf Euer Talent zurückgreifen würden?«
Der Corporal grinste. »Zu Diensten, Captain Steel, wie immer, Sir. Hebt die Lebensgeister, so ein Lied. Das sage ich immer, Sir.« Wie ein Nachgedanke fügte er leiser hinzu: »Kann dieses Warten nicht mehr ertragen, Sir.«
Slaughter strafte ihn mit einem düsteren Blick. Aber Steel gehörte nicht zu den Offizieren, die sich bei kleinen Unverschämtheiten ereiferten, insbesondere in Augenblicken wie diesen. Zumal Taylor zu den verlässlichsten Veteranen gehörte. Daher nickte er bloß. »Ich auch nicht, Taylor. Und mit dem Singen habt Ihr ganz recht. Wir werden noch von Euch hören, wie es so schön heißt. Aber ich möchte behaupten, dass wir bald loslegen werden. Nur keine Sorge.«
Der Mann unmittelbar neben Taylor in der vordersten Reihe der Kompanie, ein für gewöhnlich mürrischer Schotte aus den Lowlands namens John Mackay, meldete sich zu Wort: »Und wir schicken sie zur Hölle, nicht wahr, Sir? Wie wir’s bei Ramillies gemacht haben, oder, Jungs?«
»Als du noch an der Brust deiner Mutter hingst«, murmelte Slaughter.
Ein kurzes, vielstimmiges Hurra kam aus den Reihen. Doch es zeugte mehr von Langeweile und Furcht der Männer als von Selbstvertrauen.
Wie bei Ramillies, dachte Steel. Ja, vielleicht würde es so enden wie bei Ramillies. Oder wie bei Blenheim. Doch Marlboroughs Triumphe schienen eine halbe Ewigkeit her zu sein. Während Steel an der Brücke wartete, hatte er das Gefühl, die Ereignisse der letzten Jahre seien in fernen Landen geschehen.
Steel hatte seine jetzige Frau Henrietta zwar schon vor der Belagerung von Ostende gekannt, aber er hätte es nie für möglich gehalten, dass sie seine Geliebte und Ehefrau würde. Sie entsprach nicht seinem Stand, hieß sie doch mit vollem Titel »Lady Henrietta Vaughan«. Unter diesem Namen würde sie wohl immer bekannt sein. Er selbst konnte sich kaum an die Vorstellung gewöhnen, dass er mit einer echten Lady vermählt war. Würde er sich überhaupt je daran gewöhnen? Seit knapp einem Jahr war sie seine Frau und lebte inzwischen in Brüssel. Ursprünglich hatte Steel nicht gewollt, dass sie zusammen mit ihm England verließ, aber sie hatte sich durchgesetzt. Sie betonte, andere Frauen würden es auch so machen, warum sollte sie also nicht ihrem geliebten Captain folgen?
Captain Steel. An diesen Rang konnte er sich ohne Weiteres gewöhnen. Für seinen Einsatz
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