Stefan Bonner und Anne Weiss
aufblasbare Kajak, das ShiatsuMassagegerät und die Universal-Fernbedienung. Dies sind typische Fälle von Wohlstandsschrott: einmal benutzen und dann ab in den Schrank. Latoya führt uns ins Wohnzimmer, wo ein paar Gäste es sich bereits auf dem Sofa gemütlich gemacht haben und auf dem riesigen LCD-Fernseher Fußball schauen. Der Sound kommt na türlich über eine 5.1-Surround-Anlage, die sich Maik selbst zum Geburtstag geschenkt hat.
Er hat noch eine Überraschung. Sein neuestes Spielzeug. »Euch wird gleich der Nudelsalat aus dem Gesicht fallen«, verspricht er und bringt die Fußballgucker zum Rasen, indem er einfach ab schaltet. Mit ein paar Handgriffen schließt er eine weiße Kiste an den Fernseher an. Wir ahnen allmählich, was uns dräut – es sieht ganz danach aus, als hätte Latoya ihrem Maik die neue XBox 360 geschenkt. Das Ding war schon lange sein Traum, denn man kann es nicht nur als Daddelbox verwenden, sondern gleichzeitig auch als DVD-und CD-Player. Dazu kann es noch Fotos zeigen, mit dem Computer kommunizieren und vieles mehr. Kurz: Es ist Maiks Rundumglücklichgerät.
Maik betätigt den Powerknopf auf dem Gamepad. Auf dem Fernseher ist jetzt der Trailer zum neuesten Pixar-Animationsfilm zu sehen. Während Maik uns noch auf die »hammergeile Auflösung« hinweist, bekommt einer der Fußballfreaks auf dem Sofa einen Lachflash, weil er das kurze Filmchen so witzig findet. Wir sehen uns das Pixelspektakel daraufhin fünf Mal hintereinander an.
Es ist nicht die letzte elektronische Folter, die auf uns lauert. Als Nächstes packt Maik ein neues Verprügelspiel aus, das man mit mehreren spielen kann. Zufällig hat er vier Gamepads da. Der Rest des Abends ist schnell erzählt. Die Gäste haben sich abwechselnd virtuell in die Fresse geschlagen, bis irgendwann zu später Stun de noch Latoyas Lieblingscousine auftauchte und Maik das Spiel Guitar Hero samt Zubehör schenkte. Weiter ging es bis spät in die Nacht. Wir wurden zu Helden an Plastikgitarren.
Ob es normal ist, dass sich ausgewachsene Menschen ganze Aben de mit Kinderspielzeug beschäftigen, wollen wir in einem späteren Kapitel klären. An dem Abend bei Maik und Latoya beschäftigte uns insgeheim etwas ganz anderes. Wer so viel Wohlfühltechno logie besitzt, der verbringt bestimmt eine Menge Zeit zu Hause. Von Latoya wussten wir, dass sie mehrere Lieblingssoaps hat, und Maik ist oft mit seinen technischen Kameraden beschäftigt. Aber wie würde das Beziehungsleben im Jahr eins nach der neuen XBox aussehen?
Heute wissen wir mehr. Maik hat mittlerweile den Kampf ums Wohnzimmer gewonnen. Er spielt abends jetzt immer ungestört XBox, und Latoya sucht das Schlafzimmer auf, wo Maik – ganz Gentleman – ihr einen Zweitflachfernseher an die Wand gepappt hat. So gelingt es den beiden, möglichst viel Freizeit in einer Woh nung zu verbringen, ohne sich dabei allzu oft über den Weg zu laufen.
Die beiden folgen einem Trend, den unsere gesamte Generation genießt: Cocooning. Der Ganzjahreswinterschlaf im eigenen Heim hat inzwischen vielleicht genauso viele Anhänger gefunden wie Aerobic – nur dass es die Cocooner nicht in den Trainingsraum zieht, sondern in den Schutz der eigenen vier Wände. Internet und Fernsehen sei Dank sind wir mühelos vom Sofa aus mit der gesamten Welt verbunden. Und das reicht ja auch in den meisten Fällen.
»Ich wollte eine Auszeit, weil ich dachte, ich müsste lernen, auch die Stille auszuhalten. Aber dann war es so still um mich, dass ich Existenzängste hatte.« Minh-Khai Phan-Thi
Ob allein oder im Paarmodus, wir bleiben gerne mit der Puppe im heimischen Kokon und verbringen Abende oder auch mal das ganze Wochenende daheim, um von der Welt Abstand zu bekommen. »In erster Linie erhoffen sich echte Cocooner weniger Stress, mehr Sicherheit, mehr Kontrolle«, schreibt das Portal 4Managers. Und Prof. Dr. Gert Gutjahr vom Institut für Marktpsychologie in Mannheim erklärt, was in echten Cocoonern vorgeht: »Wenn Sie sich selbst wie eine Schildkröte fühlen, die außer Haus nur vorsich tig unter ihrem Panzer hervorlugt, dann wissen Sie, dass auch Sie von Cocooning ergriffen sind.«
Das Konzept Cocooning ist nicht neu erfunden worden. Die englische Marktforscherin Faith Popcorn verwandte den Begriff schon in den Achtzigern. Dennoch gab es nach den Anschlägen vom 11. September 2001 eine Renaissance des Rückzugs in die ei genen vier Wände. Ganz gleich ob Pizzabringdienst, Heimtrainer-versand oder Wellness-Produkte fürs
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