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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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Grundsituationen ins Bild zu bringen und eine Art Typologie zu entwickeln. Da stehen »Der Erkorene« und »Der Verworfene«, »Der Jünger« oder »Der Täter«: »O wüsstet ihr wie ich euch alle ein wenig verachte!« Das Ende des Zyklus bilden sieben »Standbilder«; das abschließende mit dem Titel »Der Schleier« verherrlicht die Macht der Poesie; je nachdem, wie der Dichter den Schleier in die Luft wirft, werden die Wünsche und Vorstellungen der Menschen gelenkt: »So wie mein schleier spielt wird euer sehnen!«
    Die erste Hälfte des abschließenden Zyklus Die Lieder von Traum und Tod umfasst zwölf Widmungsgedichte. Anders als im Jahr der Seele sind die Namen der Bewidmeten jetzt ausgeschrieben. Eröffnet wird der Reigen von den beiden Ehepaaren, deren Gastlichkeit George zu diesem Zeitpunkt am meisten verdankte: Lepsius und Verwey. Es folgen drei ursprünglich in Englisch geschriebene Gedichte an Scott, »Ein Knabe der mir von Herbst und Abend sang«. Am Ende der Reihe stehen Carl August Klein und der im Jahr zuvor verstorbene Richard Perls. Zu den übrigen Bewidmeten bestanden höchst unterschiedliche, meist nur lose Beziehungen. 45 Seinen lyrischen Höhepunkt findet der Band in den abschließenden sechs Tag- und Nachtgesängen. Im Schlussgedicht »Traum und Tod« gibt George eine Vision seines eigenen Todes und schlägt den Bogen zum letzten Vorspiel -Gedicht:
    Uns die durch viele jahre zum triumfe
Des grossen lebens unsre lieder schufen
Ist es gebühr mit würde auch die dumpfe
Erinnrung an das dunkel vorzurufen:
    Das haupt gebettet folgte noch in stummer
Ergebung alten ehren siegen straussen..
Blumen der frühen heimat nickten draussen
Und luden schaukelnd ein zum langen schlummer.

    Und jenes lezte schöne bild ist sachte
Zurückgesunken in der winde singen.
Kein freund war nahe mehr, sie alle gingen
Nur ER der niemals wankte blieb und wachte.
    Mit der betäubung wein aus seinem sprengel
Die dichten schatten der bedrängnis hindernd
Des endes schwere scheideblicke lindernd
So stand am lager fest und hoch: der engel.
    Der Engel ist die überragende Figur des Bandes. Indem er den von George zurückgelegten Weg nachträglich unter Prämissen stellt, die diesen Weg als konsequente Umsetzung der Ideale des schönen Lebens erscheinen lassen, schafft der Engel Sicherheit und Kontinuität. »Nun hält ein guter geist die rechte wage / Nun tu ich alles was der engel will«, gelobt der Dichter im dritten Vorspiel -Gedicht. Der Engel, der strahlende Wächter am Eingang zum Teppich des Lebens , markiert die Trennlinie zwischen den drei frühen und den drei späten Bänden. Der erkennbare Wille zum Gesamtkunstwerk, der Formalismus, die überfrachtete Symbolik des Ganzen haben manchen Interpreten dazu verleitet, den Teppich als ein Werk des »Klassizismus« 46 zu charakterisieren und mit ihm die erste große Schaffensperiode Georges enden zu lassen. Eine solche Scheidung in Frühwerk und Spätwerk führt allerdings meist dazu, das Frühwerk als »lyrisch« und das Spätwerk als »weltanschaulich« zu qualifizieren. Der Engel steht jedoch vom Habitus deutlich näher bei Maximin, dem Halbgott des Siebenten Rings , als bei den »flüchtig geschnittenen Schatten« 47 aus dem Jahr der Seele . Man sollte den Teppich daher besser als ein Werk des Übergangs betrachten, dessen zentrale Botschaft, die Botschaft des schönen Lebens, weit voraus ins Zentrum des Georgeschen Mythos weist.
    Bestand ein Zusammenhang zwischen dem »schönen Leben« und dem auf den letzten Seiten der dritten Folge der Blätter für die Kunst im Oktober 1896 offenbarten »großen Geheimnis«?
    Der vierte Band der Blätter ein Jahr später knüpfte an das Thema der Knabenliebe an. Die emphatische Beschwörung griechischer Schönheit erschien diesmal nicht anonym am Ende, sondern unter
den redaktionellen Leitsätzen vorn im Heft an prominenter Stelle: »Dass ein strahl von Hellas auf uns fiel: dass unsre jugend jezt das leben nicht mehr niedrig sondern glühend anzusehen beginnt: dass sie im leiblichen und geistigen nach schönen maassen sucht … darin finde man den umschwung des deutschen wesens bei der jahrhundertwende.« 48 Auf der folgenden Seite standen dann neue Gedichte unter der Überschrift »Seit der Ankunft des Engels«.
    Die lange, über vier Jahre sich hinziehende Entstehungsgeschichte des Zyklus ausschließlich vor dem Hintergrund der homoerotischen Liebe zu sehen, wäre einseitig. George eignete sich den antiken und christlichen

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