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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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Unsicherheit, in diesem Punkt stets aufs Neue falsch verstanden zu werden, gehörte zu Georges bittersten Erfahrungen. »Das grosse geheimnis« bestand darin, dennoch die Liebe zu den schönen Knaben zu suchen, auch wenn diese leichter waren »als ein halm auf dem wasser und unbeständiger als das wasser selbst«. 27 Ein solcher Fall war Cyril Scott.

3
    George war dem 17-jährigen Engländer, der später als Komponist auch in Deutschland einige Erfolge feiern konnte, Ende 1896 bei einem Besuch Clemens von Franckensteins in Frankfurt begegnet. Franckenstein und Meir Scott, wie er sich damals noch nannte, studierten am Hoch’schen Konservatorium Musik. George fuhr wohl einige Male nach Frankfurt, und Anfang Juni besuchten Franckenstein, Scott und zwei weitere junge Engländer George in Bingen. Sogar den Bingenern sei die besondere Schönheit seiner Besucher aufgefallen, erinnerte sich George dreißig Jahre später. Scott sei »von George einige Jahre sehr geliebt« worden, heißt es bei Wolters, aber so »anreizend« er auch gewesen sei, in den »entscheidenden Augenblicken« habe er »unbegreiflich zynisch« reagiert. 28
    Scott war präziser. Er habe Homoerotik in allen Schattierungen für eine durch und durch »unglückselige Veranlagung« gehalten und keinerlei Verständnis dafür aufzubringen vermocht, schrieb er in seinen 1952 auf Deutsch erschienen Erinnerungen. Georges Liebeswerben sei ihm »äußerst unbehaglich und befremdend« gewesen. Scott, ziemlich selbstbewusst und nicht auf den Mund gefallen, packte den Stier bei den Hörnern und sprach das ihm unangenehme Thema bei der nächstbesten Gelegenheit an:
    Nicht dass George es mir gegenüber an Zurückhaltung fehlen ließ. Er hatte mir gestanden, er habe beinahe von Anfang an erkannt, dass ich die ihm eigene, besondere Neigung nicht teile. Aber die Vorstellung, dass er die gleiche
Zurückhaltung wahrscheinlich nicht in Bezug auf solche jungen Leute übte, die nachgiebiger veranlagt waren, gab mir das unsichere Gefühl, mein Freund könne sich eines unglücklichen Tages in derselben wenig beneidenswerten Lage befinden wie der Verfasser von »Lady Windermeres Fächer«. Ich erinnere mich noch an eine Bemerkung, die ich George gegenüber an einem schönen Morgen machte, als wir zusammensaßen und den Rhein betrachteten. Ich sagte nämlich, dass ich jede Form der Lebensführung ablehne, die den Gesetzen des Landes widerspricht. Worauf er spöttisch lächelte und erklärte, wenn diese Gesetze mit Nachdruck durchgeführt würden, dann wären viele hochgestellte Persönlichkeiten in verschiedenen Ländern betroffen. Deshalb müsse es sich die Polizei mehr als einmal überlegen, bevor sie irgendwelche Maßnahmen ergreife. Auch diese Versicherung konnte meine Toleranz gegenüber einer Perversität nicht vergrößern, deren bloße Vorstellung mein unerfahrenes Gemüt quälte und mich mit Widerwillen erfüllte. Ich konnte meine Einstellung auch nicht ändern, als George mir in einer seiner abgeklärten Stimmungen sagte, dass er Personen, deren Denkungsart er achte, niemals physisch nahezutreten wünsche … unser Verhältnis werde sich so etwa nach meinem dreiundzwanzigsten Lebensjahr weniger schwierig gestalten. 29
    Scotts Hinweis auf den Verfasser von Lady Windermere’s Fan war keineswegs, wie man vermuten könnte, eine nachträgliche Reminiszenz. Der Prozess gegen Oscar Wilde im Frühjahr 1895 und seine Verurteilung zu einer zweijährigen Zuchthausstrafe mit Zwangsarbeit wegen Unzucht und »Sodomie« – die damals geläufige Bezeichnung der Justiz für Homosexualität – hatte weit über Englands Grenzen hinaus für Aufsehen gesorgt. Nicht nur in literarischen Kreisen. Die Erschütterung der Öffentlichkeit durch diesen Fall kann »als unmittelbarer Auslöser für die Gründung der deutschen – und damit der weltweit ersten – Schwulenbewegung gelten«. 30 Am 19. Mai 1897, George und Scott hatten sich eben kennengelernt, war Wilde als gebrochener Mann aus dem Zuchthaus von Reading entlassen worden.
    Obwohl dies aus Scotts Bericht nicht hervorgeht, ist anzunehmen, dass er mit George über Wildes Schicksal gesprochen hat und bei dieser Gelegenheit erneut ihre unterschiedliche Auffassung über die gleichgeschlechtliche Liebe deutlich wurde. Es war jene Liebe, nach der sich der Vertreter der Anklage im Prozess gegen Wilde mit besonderem Nachdruck erkundigt hatte. Was das denn für eine Liebe
sei, die sein Freund Douglas da besungen habe – »the Love that dare not

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