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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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ersten Besuch in Bingen an Wolfskehl. 63 Größe war die für Gundolf alles entscheidende Kategorie. »Seit sie ihm leibhaft aufgegangen war, ist Verehrung und Gestaltung der menschlichen Grösse der Inhalt von Gundolfs Leben geblieben.« 64 Bisweilen konnte es freilich so aussehen, als berausche er sich an historischer Größe um ihrer selbst willen. Fasziniert war er vor allem von dem Gedanken, die Bedeutung eines Menschen über Ruhm und Nachruhm zu erschließen und auf diese Weise sein Bild in der Geschichte mit Hilfe der Geschichte zu rekonstruieren.
    George konnte mit dieser Art von Ideen- und Bildungsgeschichte wenig anfangen. Bereits die erste Unterhaltung, die sie miteinander führten, ließ die unterschiedlichen Positionen deutlich werden. Gundolf hatte seinen Begriff von Größe an Caesar entwickelt. Weil mit Caesars Namen nicht nur die Erinnerung an eine geschichtliche Figur,
sondern zugleich eine der mächtigsten Ideen der Historie wachgerufen wurde, die Idee des Kaisertums, das Caesar als Erster verkörpert und zum gültigen Maßstab erhoben hatte, galt ihm der Römer als der Größte von allen. Jede Spur, die Caesar im kulturellen Gedächtnis Europas hinterlassen hatte, nahm Gundolf auf. Nun fragte er George, wen er für bedeutender halte, Caesar oder Alexander. Da sich George weder für Gundolfs Kriterien historischer Größe noch für Caesar selbst erwärmen konnte, hatte Gundolf auf Jahre viel Spott zu ertragen. »Ich seh ihn sitzen und listen machen: links wer Alexander, rechts wer Caesar für grösser hielt. Alle gewichtigen namen auf der rechten seite, und wenn der Meister einwarf, Alexander sei doch jung, dichterisch, dionysisch gewesen, Caesar habe wasser getrunken und keine haare gehabt, so gab er als einziges zu: Alexanders leichenfeier war prächtiger.« 65
    Erstreckte sich Gundolfs Enthusiasmus bis dahin ausschließlich auf die Ruhmreichen der Vergangenheit, so ließ er sich durch die Begegnung mit George erstmals von dem Gedanken anstecken, dass normative Größe auch in der Gegenwart zu finden sei. Die Tatsache, dass George am 12. Juli Geburtstag hatte, dem gleichen Tag wie Caesar, beflügelte Gundolfs Phantasie ungeheuer. Caesar und George standen fortan als zwei Fixsterne über seinem Leben. Der Wunsch, eine direkte Verbindung herzustellen und »seine beiden bedeutendsten Helden, den der Vergangenheit und den der Gegenwart, in eins zu setzen«, bestimmte sein ganzes Denken. 66 Umso schmerzlicher war es für ihn, dass die Geschichte von Caesars Ruhm durch George nicht sanktioniert wurde. Das Thema, über das er 1903 promovierte und 1924 ein in mehrere Sprachen übersetztes Standardwerk veröffentlichte, galt als Gundolfs privates Steckenpferd, als seine fixe Idee.
    Ganz in der Tradition des 19. Jahrhunderts stehend und unter dem Einfluss der Hegelschen Geschichtsphilosophie neigte Gundolf dazu, den Geist selbst als das Subjekt der Geschichte zu begreifen. Es sei immer sein Ziel gewesen, »den Geist der Geistesgeschichte als Erscheinung zu fassen«. 67 Seine vornehmliche Aufgabe erkannte er darin, die von George ausgehende Bewegung als Teil der europäischen
Bildungstradition ideengeschichtlich zu legitimieren. Dienst an George bedeute, »sich mit bewusster einseitigkeit einem gesamtwillen – einer Idee – unterordnen«, schrieb er im Vorwort zum ersten Jahrbuch für die geistige Bewegung , mit dem die Georgeaner als weltanschaulich geschlossene Formation 1910 auf die publizistische Bühne traten.
    George orientierte sich lieber an den Großen der Geschichte selbst. Er verlangte von der Historie nicht, dass sie Gesetzmäßigkeiten aufstellte und aus dem Besonderen das Allgemeine ableitete, sondern dass sie Größe als Ausnahme bestätigte. Im Übrigen sei es nicht Aufgabe des Historikers, gerecht gegen die Vergangenheit zu sein, sondern die Geschichtsschreibung den Erfordernissen der Gegenwart anzupassen. George stand hier in der Tradition der monumentalischen Historie Nietzsches. »Nur aus der höchsten Kraft der Gegenwart dürft ihr das Vergangene deuten«, hatte dieser 1874 in der zweiten Unzeitgemäßen Betrachtung geschrieben. »Der Spruch der Vergangenheit ist immer ein Orakelspruch: nur als Baumeister der Zukunft, als Wissende der Gegenwart werdet ihr ihn verstehen.« 68
    Maßstab und Vorbild monumentalischer Geschichtsschreibung waren für Nietzsche noch immer Plutarchs vergleichende Lebensbeschreibungen großer Griechen und Römer: »Sättigt eure Seelen an Plutarch und wagt es

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