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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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die 24 Gedichte des Vorspiels jene »monumentale Intimität«, die wenige Jahre später »den leib vergottet und den gott verleibt«. 54

5
    Von einem kurzen Aufenthalt in München Ende April und zwei Abstechern nach Berlin und Brüssel abgesehen, hatte George das Jahr 1899 zunächst in Bingen verbracht. Am 31. Juli kam Verwey zu einem zweieinhalbwöchigen Besuch, George holte ihn in Rüdesheim auf der gegenüberliegenden Rheinseite ab. Im Haus am Nahekai hatten Veränderungen stattgefunden. Georges neues Zimmer im Erdgeschoss sei zwar nicht sehr groß, bemerkte der Gast aus Holland, aber das einzige Fenster gebe den Blick frei auf »ein Stück Weinberg auf der anderen Seite der Nahe, vor dem sich ein dunkles Gebäude mit zwei kleinen und zwei größeren Spitztürmen abhob … Die Farbe des Zimmers war Mattblau, an der langen Wand gegenüber der Tür stand ein gutgefülltes Büchergestell, an der kurzen gegenüber dem Fenster
eine Ruhebank. Ein Schreibtisch mit einem Stuhl davor nahm die Mitte ein. An den Wänden hingen einige gerahmte Zeichnungen, ein paar Skizzen von Lechter, Georges Porträt von Toorop. Auf dem Tisch stand eine Bambusvase, die meine Frau ihm bei seinem letzten Besuch geschenkt hatte, mit einem Zweig darin.« 55
    Um der großen Hitze in der Rheinebene auszuweichen, fuhren George und Verwey eine Woche später nach Bad Homburg. Eine Stunde Fußweg entfernt, in einem einsam im Wald gelegenen ehemaligen Lustschlösschen der Landgrafen quartierten sie sich für eine Woche ein. Ärger gab es kurz vor der Abreise, als Georges Uhr vom Fensterbrett verschwand und die Polizei eingeschaltet werden musste. Abends gingen die Freunde nach Bad Homburg zum Essen und anschließend ins Kurhaus. Georges letzten, schon leicht nostalgisch wirkenden Auftritt als Dandy hat Verwey in einer eindrücklichen Momentaufnahme aus dem Homburger Kurhaus festgehalten:
    Wenn wir dort hingingen, erwachte in Stefan der Weltmann. Er zog viel zu enge Lackschuhe an und stieß, von einem Fuß auf den anderen tretend, die drolligsten Laute aus. An den Tänzen im Kurhaus nahm er nicht teil, stand aber dabei und sah mit einem, wie mir schien, kaum zu unterdrückenden Verlangen zu. Er zog stets die Aufmerksamkeit auf sich, allein schon durch seinen Kopf, aber auch durch sein Monokel, durch das er sehr herausfordernde Blicke warf. Seine Salamander-Krawatten waren tadellos. Inmitten dieser Abendgesellschaft in großer Toilette fühlten wir uns wie Minister auf Urlaub. 56
    Am 4. August war in Bingen zum ersten Mal jener junge Mann zu Besuch gewesen, in dem sich alle Wünsche und Hoffnungen Georges mit einem Schlag erfüllten: Friedrich Gundolf. »George liebt es, mit solchen jungen Menschen umzugehen«, berichtete Verwey einen Tag später seiner Frau, »und dieser war nicht der übelste.« 57 »Von hohem Wuchs und schlanken Gliedern, die schwanken Schultern bekrönt von einem gewinnend schönen Knabenkopf«, 58 eroberte sich der romantisch weiche, immer ein wenig vertäumt wirkende Gundolf schnell alle Sympathien. Für George wurde er zur wichtigsten Bezugsperson seines Lebens.
    Als Wolfskehl ihn Anfang September 1898 in seinem Darmstädter
Elternhaus kennenlernte, konnte Gundolf nicht ahnen, dass er, wie er ein Jahr später schrieb, »von diesem Tage an eine neue Epoche in meinem Leben datieren dürfe«. 59 Wolfskehl kam gleich zur Sache und las dem 18-Jährigen aus dem Jahr der Seele vor. Der Vater, Sigmund Gundelfinger, Ordinarius für Mathematik an der Technischen Hochschule, betrachtete die dichterische Erweckung seines Sohnes mit Skepsis. Bevor Wolfskehl ihn mit George zusammenbringe, solle er erst einmal sein Abitur bestehen. Ein halbes Jahr mussten sie sich gedulden, dann schickte Wolfskehl die ersten Gedichte seines Schützlings an George: »Da er tief ist und glühend und voll Liebe, dürfen wir uns an ihm freuen und auf ihn hoffen«, jubelte er im Begleitschreiben. 60 Sechs Wochen später präsentierte er ihn in München. Gundolf sei bei der Begegnung »so schüchtern und benommen gewesen, dass George nach einer Weile ins Nebenzimmer ging«, erinnerte sich Hanna Wolfskehl. 61 Schon an diesem Tag nannte George ihn so, wie er bald für alle und in späteren Jahren auch offiziell heißen sollte: Gundolf. 62
    Gundolfs Begeisterung kannte keine Grenzen. »Wie bin ich doch so tief in Georges Schuld in welcher bald Deutschland und Europa auch mit uns sich fühlen wird, wenn nur ein Sinn fürs Grosse sich regte«, schrieb er bald nach seinem

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