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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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speak its name«? Wilde wuchs über sich hinaus und setzte zu einer Rede an, die ihre Wirkung auf das Publikum nicht verfehlte:
    Die Liebe, die sich in unserem Jahrhundert »stets verhehlt«, bezeichnet die große Zuneigung eines älteren für einen jüngeren Mann, eine Zuneigung, wie sie schon zwischen David und Jonathan bestand, eine Zuneigung, die Platon zur Grundlage seiner Philosophie machte und die in Michelangelos und Shakespeares Sonetten widerklingt. Diese tiefe, geistige Liebe ist ebenso rein wie vollkommen. Sie inspiriert und durchweht große Kunstwerke … Sie wird in unserem Jahrhundert missverstanden, so gründlich missverstanden, dass man sie mit Fug als »die Liebe die sich stets verhehlt« bezeichnen kann; ihretwegen stehe ich nun hier. 31
    Unter dem Titel Der Fall Wilde und das Problem der Homosexualität war 1896 im Verlag von Max Spohr das erste Buch über den Prozess erschienen. Spohr, der wenig später Stefan George als Autor gewinnen wollte, veröffentlichte 1901 auch eine erste, noch ziemlich verstümmelte Übersetzung des Dorian Gray . Im darauf folgenden Jahr erschien bei Bruns in Minden die erste vollständige deutsche Ausgabe des Romans. Den Übersetzer Felix Paul Greve lernte George im Frühjahr 1902 über Karl Wolfskehl kennen; sie wohnten in derselben Münchener Pension, Greve saß wohl noch an der Arbeit. 32 Im Mai lud ihn George nach Bingen ein. Er hoffte, Greves Kontakte zu Wildes Verlegern für eine englische Ausgabe seiner Gedichte nutzen zu können. Überdies hatte sich Greve mit einigen George-Reminiszenzen in seinem soeben in bibliophiler Aufmachung erschienenen Band Wanderungen als künftiger Blätter- Dichter empfohlen. 33
    Kam in späteren Jahren das Gespräch auf Wilde, ließ George es nicht an Deutlichkeit fehlen. Die ganze Erscheinung war ihm inzwischen höchst unappetitlich. Er habe keinerlei Verständnis dafür, äußerte er 1926 über De Profundis , Wildes erschütterndes, postum erschienenes Bekenntnis seiner Abhängigkeit von Douglas, dass ein Mensch so tief sinken könne: »Welche Würdelosigkeit.« Als Douglas anfing, ihn fortwährend zu erniedrigen, hätte Wilde ihm den Laufpass geben müssen, meinte George. Aber so sei das nun einmal mit der sexuellen Hörigkeit, der Mensch verliere dann jedes Ehrgefühl.
Als Edith Landmann einwarf, Wilde sei von Douglas offenbar erpresst worden, entrüstete er sich: Den hätte er »mal sehen wollen«, der versucht hätte, ihn zu erpressen. 34
    Erpressung, »eine gegebene und nie aufhörende Heimsuchung der homosexuellen Welt«, 35 gehörte für viele zu den erniedrigendsten Folgen ihrer Stigmatisierung durch die Strafgesetzgebung. Die durch das Milieu zwangsläufig drohende Kriminalisierung diente dem Sexualreformer Magnus Hirschfeld denn auch als entscheidendes Argument im Kampf gegen den § 175 des Strafgesetzbuchs, dessen Abschaffung er 1897 erstmals als Petition im Deutschen Reichstag eingebracht hatte. Mit seiner Behauptung gegenüber Scott, solche Paragraphen seien von Staats wegen gar nicht konsequent durchsetzbar, weil auch viele »hochgestellte Persönlichkeiten« betroffen wären, verstand es George geschickt, den strafrechtlichen Aspekt herunterzuspielen. Aber sollte George tatsächlich geglaubt haben, was er Scott so selbstgewiss vortrug? Sollte er in dieser heiklen Frage naiv gewesen sein?
    Ganz anders seine Erregung ein Vierteljahrhundert später im Gespräch mit Edith Landmann. Das unterschwellige Drohgehabe, er hätte denjenigen sehen wollen, dem es eingefallen wäre, ihn zu erpressen, lässt vermuten, dass er sich der Gefahr auch hinsichtlich seiner eigenen Person durchaus bewusst war. Dass er sich trotzdem jederzeit sicher zu sein glaubte, lag zum einen an der Wahl seiner Freunde; einen »Bosie« Douglas hätte er eben nicht um sich geduldet. Im Frühjahr 1901wurden »ziemlich unzweifelige Thatsachen« über Roderich Huch, den Neffen der berühmten Ricarda, ruchbar, »das indiskreteste Wesen, das man sich vorstellen kann, er erzählt alles wieder, was er sieht, hört, miterlebt«. 36 Huch verkehrte im Münchner Umfeld von Wolfskehl und war lange mit Gundolf befreundet. George mahnte zur Vorsicht: »Die möglichkeit UNSRER anklage ist schon grund genug. ich halte meine sprache aufrecht.« 37
    Was die Zuverlässigkeit eines jungen Menschen anging, verließ sich George nicht allein auf seinen Instinkt und gründliche Nachforschungen im Vorfeld. Briefe, die gegen ihn hätten verwendet werden
können, mussten vom

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