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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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an euch selbst zu glauben, indem ihr an seine Helden glaubt. Mit einem Hundert solcher unmodern erzogener, das heisst reif gewordener und an das Heroische gewöhnter Menschen ist jetzt die ganze lärmende Afterbildung dieser Zeit zum ewigen Schweigen zu bringen.« Der zu Beginn des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts entstandene Musterkatalog antiker Helden wurde auch von George nachdrücklich zur Lektüre empfohlen. Den Plutarch müsse man in der Jugend »von Anfang bis Ende und immer wieder von vorn« studieren, er selber habe ihn »schon dreihundertmal gelesen«. 69
    Grundgedanke der monumentalischen Geschichtsauffassung war nach Nietzsche die Überzeugung, »dass die grossen Momente im Kampfe der Einzelnen eine Kette bilden, dass in ihnen ein Höhenzug
der Menschheit durch Jahrtausende hin sich verbinde«. Aus der Beschäftigung mit der Vergangenheit erwachse daher notwendigerweise die Hoffnung, »dass das Grosse, das einmal da war, jedenfalls einmal möglich war und deshalb auch wohl wieder einmal möglich sein wird«. 70 Genau so hat George Geschichte verstanden: als ein geistiges Kontinuum, in dem die Großen Einzelnen, die Täter und Künstler, die der jeweiligen Epoche ihren Willen aufdrückten, über die Zeiten hinweg in einem fortlaufenden Dialog sich befinden und dem jeweils letzten in der Reihe den Stab überreichen. In seinen Gedichten knüpfte er jetzt immer häufiger imaginäre Korrespondenzen mit den Geistesheroen der europäischen Überlieferung. Im 18. Vorspiel -Gedicht, in dem er seinen künftigen Ruhm thematisiert, lässt sich George von seinem Über-Ich, dem Engel, in der Schlussstrophe daran erinnern, dass selbst die Größten, die griechischen Tragiker, Shakespeare, Petrarca, Dante, den Hohn der Nachwelt hätten erdulden müssen:
    So sind dir trost und beispiel höchste meister
Die attischen die reinsten gottesdiener
Der Nebel-inseln finstrer fürst der geister
Valclusas siedler und der Florentiner. 71
    Obwohl Gundolf ebenfalls zur monumentalischen Historie neigte, versuchte er bei aller Begeisterung doch, die historischen Zusammenhänge nicht aus dem Auge zu verlieren. Der Historiker war für ihn in erster Linie »der Hüter der Bildung«. 72 Bei den führenden Germanisten der Berliner Universität, Gustav Roethe und Erich Schmidt, eignete er sich das wissenschaftliche Rüstzeug an, in den Seminaren des Kunsthistorikers Heinrich Wölfflin schärfte er seinen Blick für die Gesetzmäßigkeiten von Stilen und Epochen. Ernst Osterkamp hat das Gundolfsche Werk als ein lebenslanges Jonglieren zwischen den Forderungen Georges und denen der Wissenschaft gedeutet. 73 Weil Gundolf immer neue, vergebliche Anstrengungen unternahm, beide Positionen zu versöhnen, saß er am Ende zwischen allen Stühlen. Einen »Wissenschaftskünstler« nannte ihn der Germanist Harry Maync 1926 abfällig. Wer wie Gundolf versuche, »die Wissenschaft
als Kunst zu betreiben«, gebe damit zu erkennen, dass er »von Exaktheit und Objektivität nichts wissen will«. Gundolf wies den Angriff mit dem galligen Hinweis zurück, die von der Wissenschaft so hoch gehaltene Objektivität sei »vielfach nur die Subjektivität der Grossväter«. 74
    So souverän er sich gegen Kritik von Fachkollegen zur Wehr zu setzen wusste, so hilflos war Gundolf der Wissenschaftsschelte Georges ausgesetzt. Des Meisters permanente Invektiven gegen die Wissenschaft im Allgemeinen und den Wissenschaftsbetrieb im Besonderen trafen ihn schwer. Da er es nicht wagte, George zu widersprechen und ihm die Grenzen seines Verstehens deutlich zu machen, plagte Gundolf schon früh das schlechte Gewissen. Allerdings dürfte ihm kaum entgangen sein, dass Georges Warnungen vor der Wissenschaft auch disziplinierenden Charakter hatten. Nur der Schüler, der keine anderen Götter gelten ließ – und schon gar nicht die Götzen der Wissenschaft -, war in Georges Augen ein wahrer Schüler. Schon am 10. August 1899, sechs Tage nach seinem ersten Besuch in Bingen, hatte Gundolf aus Bad Homburg diesen Vierzeiler erhalten:
    Wozu so viel in fernen menschen forschen und in sagen lesen
Wenn selber du ein wort erfinden kannst daß einst es heiße
Auf kurzem pfad bin ich Dir das und du mir so gewesen
Ist das nicht licht und lösung über allem fleiße 75
    Gundolfs ausufernde Produktivität – seine Bibliographie verzeichnet 161 Bücher, Aufsätze und Rezensionen – empfand George als geradezu unheimlich. Dennoch konnte er sich für den jugendlichen Elan und die intellektuelle

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