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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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Geschmeidigkeit begeistern, mit denen Gundolf jedes neue Thema auf der Stelle zu seinem eigenen machte. »Er war der begabteste von euch allen«, wies er in späteren Jahren die Einwände jüngerer Freunde zurück. »Der hatte gedanken, so viele, von hier bis ans meer. Wenn er aufwachte, so fings gleich an. Kaum hatte er einen strumpf angezogen, so sass er schon am tisch und schrieb. Bis über die ellbogen stak er dann in tinte.« 76
    Gundolfs Beteuerungen, sein gesamtes Schaffen sei Dienst am Meister, beurteilte dieser zwar zunehmend skeptisch, und Gundolf
geriet immer wieder in Erklärungsnot. Saß er in Heidelberg beim Friseur, versteckte er die Illustrierte, sobald die Ladentür aufging und er fürchten musste, George könnte eintreten und ihn bei Schundlektüre erwischen. 77 Aber auch wenn er an der Seite Georges bisweilen in Sack und Asche ging, scheint Gundolf seine eigenen Fähigkeiten nie ernsthaft in Frage gestellt zu haben. Es kam für ihn nur darauf an, sie in ein rechtes Verhältnis zu den Anforderungen Georges zu setzen.
    An Silvester 1899, dem letzten Tag des Jahres, in dem sie sich begegnet waren, hatte Gundolf emphatisch an George geschrieben: »Teuerster Meister! Heil und Gruss zu dem neuen Jahr und Jahrhundert, das Ihr Jahrhundert heissen möchte und vielleicht heissen wird, so es gut geht!« 78 Gundolf war überzeugt, den Beginn eines heroischen Zeitalters nicht nur aus nächster Nähe mitzuerleben, sondern auch aktiv mitgestalten zu können. Als Propagandist mangelte es ihm nicht an Selbstbewusstsein. »Nicht dass die grossen Geister entstehen, sondern dass sie gewürdigt werden, macht glaub ich die Kultur«, wusste schon der 19-Jährige. 79 Die Aufbruchstimmung sei allenthalben spürbar, ließ der 25-Jährige seinen Doktorvater Gustav Roethe wissen: »Sobald der Heros erscheint, werden die Massen selbst nichts andres als Werkzeug sein wollen … Die Geschichte hat niemals eine schönere Aufgabe gehabt als jetzt, niemals mannigfaltigere Mittel.« 80

6
    George ging behutsam vor. Weder wollte er Gundolf durch Ungestüm verprellen, noch wollte er sich mit der Rolle des ewig Werbenden begnügen. Jedes Treffen wurde für ihn zu einer Zitterpartie. »Ich habe so viel ehrfurcht vor Ihrem beginnenden als Sie vor meinem halberfüllten leben«, schrieb er dem Jungen nach seinem zweiten Besuch in Bingen. Aber jetzt stelle sich ihm doch die bange Frage, wie es weitergehe: »Um einen tieferen schnitt zun thun habe ich dazu das recht und haben Sie die kraft?« 81 Wie konnte George seine Gefühle offenbaren, ohne Gefahr zu laufen, zurückgestoßen zu werden? Da
ihm schnell klar gewesen sein muss, dass der Angebetete keine homoerotischen Neigungen verspürte, war er doppelt auf der Hut. Er erzählte Gundolf viel von seinen frühen Irrfahrten, seiner verzweifelten Suche nach Gleichgesinnten, und vergaß nicht zu betonen, dass nur wenige solche intimen Einblicke genossen hätten. Gundolf war wie benommen. Dass ein solcher Mann sich ihm öffnete, gab ihm das stolze Gefühl, selber etwas zu sein.
    Ende März 1900 fuhren George und Gundolf eine Woche nach Oberitalien. Es war die erste von vielen gemeinsamen Reisen, und sie sollte George seinem Ziel ein großes Stück näherbringen. »Jetzt nähre ich mich von der Liebe zu Ihnen«, schrieb Gundolf nach der Rückkehr, »und rufe die hohen Stunden zurück Verona! Vicenza! Padova!« 82 Was sich in den anschließenden Apriltagen zwischen ihm und George genau abspielte, bleibt im Dunkeln. Indizien gibt es nur in den Gedichten:
    Du liessest nach im staunen willig niedersinkend
Erstöhnend vor dem jähen überfluss,
Du standest auf in einer reinen glorie blinkend,
Du warst betäubt vom atemlosen kuss.
     
    Und eine stunde kam: da ruhten die umstrickten
Noch glühend von der lippe wildem schwung,
Da war im raum durch den die sanften sterne blickten
Von gold und rosen eine dämmerung. 83
    In der Freundschaft mit Gundolf fühlte George zum ersten Mal »das glück in vollem glanze mich umschweben«. 84 Aber auch jetzt, in der Euphorie des Frühjahrs 1900, war er außerstande, sich mit seiner ganzen Person vorbehaltlos auf diese Beziehung einzulassen. Er hielt sich alle Rückzugsmöglichkeiten offen und stürzte Gundolf in ein Wechselbad der Gefühle. »Ich sah dich und ich liebte dich. ich sah dich nicht mehr und ich liebte dich. so muss ich dich immer lieben, ich mag nun frohlocken oder weinen tief im herzen.« Das Jean Paul-Zitat hatte George gleich bei der Rückkehr aus

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