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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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Italien für den Freund abgeschrieben. Das war am Dienstag, am gleichen Tag, an dem Gundolf ihm geschrieben hatte, er lebe ganz in der liebenden Erinnerung.
Am Freitag wurde Gundolf wegen mangelhaften Korrekturlesens zusammengestaucht: »Dass ich der ungelehrteste Ihnen den deutschen gelehrten: sorgsamkeit + gewissenhaftigkeit predige!!« 85
    Für Gundolf ging es ständig auf und ab. Am 1. Mai erhielt er »einen schönen herrlichen Brief«, von dem sich – wie sollte es anders sein? – nur der Umschlag erhalten hat mit dem Vermerk »Inhalt verbrannt«. 86 Drei Tage später unterzeichnete George eine Postkarte mit S. für Stefan, und Mitte Mai wurde das Du zwischen ihnen besiegelt. 87 Gundolf hatte sich, nach drei Semestern in München, in Heidelberg immatrikuliert, so dass er und George jetzt öfters zusammen sein konnten. Doch schon drehte sich wieder der Wind. Nachdem George Anfang Juni ein geplantes Treffen zwei oder dreimal verschoben hatte, erlaubte sich Gundolf kurz vor seinem 20. Geburtstag den Hinweis, dass er an diesem Tag verhindert sei. Offenbar rechnete er damit, dass George ihn an diesem Mittwoch in Heidelberg überraschen könnte. Georges Antwort war grausam in ihrer Ambivalenz:
    L:G: dank für deine sendung. nur war Deine abmahnung mehr als unnütz da ich gar nicht vorhatte am mittwoch zu reisen überhaupt nicht gesonnen bin nach H[eidelberg] zu kommen. auch musst Du mich mit schülerhaften entschuldigungen verschonen die mich zu lautem lachen reizen und dich in meiner achtung nicht erhöhen. Nun zum erfreulichen teil … Immer weiter also und wisse dass ich in diesem teil meines lebens keine schönere aufgabe kenne als Dir den weg leichter zu machen zur höhe die Du dir als ziel gesezt hast. Dein liebender und treuer St.G. 88
    Gundolf war für solche Zurechtweisungen dankbar und interpretierte Georges Selbstgerechtigkeit als pädagogische Fürsorge. Das Einzige, was er nicht aushielt, war die Ungewissheit, wenn er längere Zeit nichts von ihm hörte. »Vom Meister bekomme ich beinahe nur Nachricht wenn ich eine Dummheit angestellt habe«, beklagte er sich Anfang Juli 1901 bei Wolfskehl. 89 Drei Wochen später schloss ein Brief an George: »Darf ich bald einmal einen Brief ohne Zittern öffnen?« 90 Als George, der nie ein fleißiger Briefschreiber war, im Februar 1906 ihre Korrespondenz mehr oder weniger ganz einschlafen ließ, bangte Gundolf: »Hoffentlich hat Dein Stillschweigen nicht seinen Grund in körperlicher oder geistiger Verstimmung.« 91 Die wahren Gründe waren
ihm nicht verborgen geblieben: die »Vorbereitung neuer Frühlinge«. Im Frühjahr 1905 hatte George den zwanzigjährigen Robert Boehringer kennengelernt, im Jahr darauf verliebte er sich in den 18-jährigen Ernst Morwitz.
    Während in späteren Jahren immer wieder andere, Jüngere in die Favoritenrolle schlüpften, wahrte sich Gundolf bis zum Ende der Beziehung den Sonderstatus desjenigen, der als erster die Liebe Georges erfahren hatte. Aber Gundolf war nicht nur der Erste, er blieb in gewisser Weise auch der Einzige, denn nie wieder »wird George ein vergleichbares Erlebnis geschenkt werden«. 92 Festgeschrieben war dieses Erlebnis in zwölf Gedichten, die unter dem Titel Gezeiten im Siebenten Ring erschienen; die meisten dürften im April/Mai 1900, bald nach der Rückkehr aus Italien, entstanden sein. 93 Gundolf war unendlich stolz auf diese »Hymnen der Liebe«, von denen er behauptete, sie seien die einzigen wirklichen Liebesgedichte, die George je geschrieben habe. Nur hier »spricht der Liebe innerstes Wesen, die nackte Leidenschaft des Sehnens, Erringens, Besitzens und Verlierens«. Sie stellten »die letzte Leidenschaft vor der Erfüllung« dar und stünden im Siebenten Ring deshalb direkt vor dem Maximin -Zyklus. 94
    Die Reihenfolge, in der die Gedichte an Gundolf im Siebenten Ring veröffentlicht wurden, legt eine innere Gesetzmäßigkeit in der Entwicklung dieser Freundschaft nahe, die auf den ersten Blick einleuchtet. »Wenn dich meine wünsche umschwärmen / Mein leidender hauch dich umschwimmt -« mit diesen Zeilen wird der Zyklus eröffnet. Einem sehnsüchtigen, noch zaghaften Beginnen folgen mit Anbruch des Frühlings die ersten Glücksverheißungen, die das ganze bevorstehende Jahr überstrahlen:
    Stern der dies jahr mir regiere!
Der durch des keim-monats wehende fehde
Von einem heiteren sommer mir rede
Und auch mit blumen die ernte verziere..
Dass sich in lächelndem schimmer verliere
Ernster beladener tage

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