Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
getöse,
Heimliche weisheit durch fahrvolle böse
Überfinsterte wege mich rette,
Meine schweifenden wünsche kette
Und meine ängstenden rätsel mir löse! 95
Das anschließende Gedicht feiert die gemeinsame Liebesnacht. Unmittelbar darauf werden erste Zweifel laut, die Landschaft, eben noch wie verzaubert, wirkt mit einem Mal grau und trostlos: »Betrübt als führten sie zum totenanger / Sind alle steige wo wir uns begegnen.« Da die beiden immer häufiger aneinander vorbeireden, flüchtet sich der Dichter in die Erinnerung und beginnt innerlich Abschied zu nehmen. Im Gedicht »Der Spiegel«, der wohl eindrucksvollsten narzisstischen Selbstanalyse des literarischen Jugendstils, lässt es George auf eine letzte Prüfung ankommen:
Zu eines wassers blumenlosem tiegel
Muss ich nach jeder meiner fahrten wanken.
Schon immer führte ich zu diesem spiegel
All meine wünsche träume und gedanken
Auf dass sie endlich sich darin erkennten –
Sie aber sahen stets sich blass und nächtig:
›Wir sind es nicht‹ so sprachen sie bedächtig
Und weinten wenn sie sich vom spiegel trennten.
Die zweite Strophe des Gedichts beschreibt den Glückstaumel bis hin zur Vereinigung mit dem Geliebten: »Ich habe endlich ganz in wildem lodern / Emporgeglüht und ganz mich hingegeben.« Der Dichter glaubt sich am Ziel seiner Wünsche: »Ihr träume wünsche kommt jezt froh zum teiche!« Doch der Spiegel bestätigt mitnichten die Hoffnungen des Dichters, seine Träume und Wünsche erkennen sich in dieser Freundschaft nicht wieder: »Ihr weint nicht mehr doch sagt ihr trüb und schlicht / Wie sonst: ›wir sind es nicht! wir sind es nicht!‹«
Es fällt schwer, sich in die Lage desjenigen zu versetzen, dem diese Verse zugedacht waren. Sieben der an ihn gerichteten Gedichte las Gundolf spätestens im Mai 1901 in den Blättern für die Kunst , ein Jahr später bekam er von George zu seinem 22. Geburtstag eine prachtvolle Abschrift. Jeder andere hätte sich gefragt, was das für eine Liebe sein soll, in der der Geliebte den Anforderungen offenbar kaum
genügt und, statt den Liebhaber zu beglücken, durch sein oberflächliches Erleben dessen Verachtung auf sich zieht. Nicht so Gundolf. Er war dankbar, dass George ihm überhaupt Gelegenheit gab, sich an seiner Seite zu bewähren. So wie er im täglichen Umgang manche Launen und Schikanen Georges ertrug, weil er einen natürlichen Rangunterschied anerkannte und dem Meister ein höheres Sein zubilligte als sich selbst, so ließ Gundolf sich auch in den Gedichten gern über den Abstand zwischen ihnen belehren. Je größer der Abstand, desto leichter die Unterwerfung: So will es die charismatische Beziehung. »Es gehört zu den Zeichen des Meisters, dass er einzig und unersetzbar und noch vom Höchsten der Jünger durch eine Kluft getrennt ist, die selbst die Liebe nur in seltenen Augenblicken überspringt.« 96
Im Gezeiten -Zyklus dominierten die gleichen Abwehrreflexe wie in der Korrespondenz. Mit zunehmender Intensität und Nähe wuchs bei George das Bedürfnis, sich von dem Geliebten zu distanzieren, ja, ihn zu schmähen. Leidenschaften mussten gezähmt werden, Abhängigkeit durfte gar nicht erst aufkommen. Psychoanalytisch gesehen, hatte die Angst vor der Öffnung wohl mit Phantasien von der eigenen »Unzerstörbarkeit« zu tun, die ihrerseits eng mit der Vorstellung von »Virginität« zusammenhingen. Jede Form der »Öffnung« musste als Gefährdung erscheinen. »Da du in meiner schande mich belauert«, hieß es ein Jahr später in dem Gedicht »König und Harfner«, »So hör was dir nicht frommt.« Das Gedicht war nach einem gemeinsamen Besuch des Mauritshuis in Den Haag entstanden, wo George und Gundolf Rembrandts »Saul und David« bewundert hatten. 97 Im Gedicht schlüpfte George in die Rolle des durch das Saitenspiel Davids zu Tränen gerührten Saul. Die Schuld an seinem Leid gibt er David, »Den ich nicht missen mag und den ich hasse / Und der nicht weiss wie er mit gift mich füllt«. Je süßer die Musik, die der Junge seiner Harfe entlockt, als desto schmerzlicher empfindet Saul den ungeheuren Abstand zwischen ihnen: »Dir dienen fieberqualen meiner nächte / Um sie in ton und lispeln zu verwehn / … / Und schmilzest mein erhabnes königsleid / In eitlen klang durch dein verworfen spiel.« 98
Bereits der Engel des Vorspiels hatte die Entindividualisierung des Erotischen zur wichtigsten Forderung des schönen Lebens erhoben. Gerechtfertigt im platonischen Sinn war die Liebe
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